Grenze und Initiation (2015)

Folgender Text ist mein Beitrag zu der Ringvorlesung „Grenzen“
an der Universität Potsdam (Juli 2015)
Er ist publiziert worden in:
Ralf Pröve, Grenzen bestätigen und Grenzen überwinden. Rituale von Übergang und Initiation, in: Hans-Joachim Petsche (Hg.), Grenzen im Fokus der Wissenschaften. Eine multidisziplinäre Vorlesungsreihe, Berlin 2016, S. 153-170

Grenzen bestätigen und Grenzen überwinden:
Rituale von Übergang und Initiation[1]
Ralf Pröve

Am 15. September 2015 erschien in dem Internetmagazin SpiegelOnline ein Bericht über einen in Köln stattgefundenen „SEK-Skandal“ [2]: den Polizisten eines Sondereinsatzkommandos sei vorgeworfen worden, „zwei ihrer Kollegen bei Aufnahmeritualen gedemütigt und erniedrigt zu haben. Laut einem Ministeriumsbericht sollten die Neuen etwa kniend auf dem Boden eine ekelerregende Eismischung mit Tsatsiki-Knoblauch-Chili-Geschmack essen, die sich zwischen den Oberschenkeln eines SEK-Mitglieds befand. Ein Beamter soll sich darüber erbrochen haben. Außerdem sollten die Beamten bei einer Reise nach Südtirol Indianerkostüme und Perücken tragen. Die gut trainierten Beamten wurden zu körperlichen Höchstleistungen herausgefordert, wie einen Berg in den Alpen mit einem alten Damenrad zu erklimmen. Auch erhielten die neuen Beamten dem Bericht zufolge nacheinander eine das gesamte Gesicht bedeckende Tauchermaske übergezogen, um durch einen Luftschlauch Alkohol in die Brille einzufüllen – Bier oder ein Bier-Schnaps-Gemisch.“

Ich möchte diese Meldung aufgreifen und mich im Rahmen der Potsdamer Ringvorlesung[3] über Grenzen mit inneren, sozialen und akteursbedingt konstruierten Grenzen sowie deren in zum Teil komplizierte Rituale eingebundene partielle Überwindung beschäftigen.

1. Einleitende Bemerkungen

Wer mittels Google Abfragen über die Bildsuche startet, findet sehr schnell in kaum überschaubarer Vielfalt visualisierte Rituale. Ob die Beerdigung von Konrad Adenauer, die Beschneidung eines Kindes, die Einschulung, die Freisprechung von Zimmerleuten, die letzte Hochzeit der Windsors oder die Vereidigung von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin, die Vielfalt ist überwältigend, die Präsenz allgegenwärtig.

Auch wenn man gerade nicht am Bildschirm diese Bilder selbst betrachtet, so hat sich die visuelle Botschaft auch nur mit meinen wenigen Worten erschlossen. Sehr vieles kommt uns bekannt vor, wir können die Informationen sozusagen lesen, die Abbildungen haben auf vielfältige Weise Eingang gefunden in unseren visuellen Cortex, stellen verdichtete und kondensierte Erinnerungsengramme dar, die wir mit anderen Akteuren teilen. Es erschließen sich uns auf diese Weise gesellschaftliche Diskurse, deren Komplexität in scheinbar simplen Deutungsmustern reduziert und somit erfassbar wird. Die Bildsemantiken bilden also eine akteursübergreifende Bedeutungssprache ab.

Allen diesen visualisierten Situationen haftet etwas Festlich-Feierliches an, sozusagen das Gegenteil von Alltagsroutine. Trotz zum Teil vollkommen differierender Anlässe erkennen wir ein gewisses Muster:

– die Verbindung von Räumlichkeit und Akt (Kirche, Schule, Bundestag)
– Festlicher Schmuck bzw. Applikationen wie Blumen, Kerzen, Schultüten
– eine spezielle Kleidung und Körperhaltung (Uniform, bunte Kleidung, gedeckte Kleidung)
– das Vorhandensein von Menschen, entweder aktiv oder passiv
– ein Akt, eine Handlung (erhobene Hand zum Schwur)

Wie gesagt, wir alle kennen solche Vorgänge, zuweilen waren wir selbst einmal Teil davon, noch viel mehr aber haben wir indirekt davon erfahren, über Literatur, aus den Medien oder durch Erzählungen von Verwandten und Freunden. Meistens nennen wir diese Akte Zeremonie, Ritual oder Initiation.

Aufgrund ihrer alltäglichen Verbreitung fehlt es nicht an beschreibenden, definitorisch inspirierten Versuchen. So heißt es in einem weit verbreiteten Online-Lexikon über die Zeremonie:

„Eine Zeremonie, von lat. caeremonia „Feier, feierlicher Akt“ ist ein nach einem festgelegten Protokoll oder Ritus ablaufender förmlich-feierlicher Akt. In einer Zeremonie finden in der Regel bestimmte Rituale oder vorgegebene Handlungen statt, die oft Symbolcharakter besitzen. Die Regeln, nach denen eine Zeremonie gewöhnlich abläuft, bezeichnet man auch als Zeremoniell. Zeremonien finden häufig öffentlich oder vor einem Publikum in repräsentativem Rahmen statt, können aber auch im privaten Umfeld angesiedelt sein. Sie sind im religiösen und sakralen Raum (Kult und Gottesdienst) ebenso beheimatet wie im weltlichen Bereich (z. B. Hofzeremoniell, Staatsakt).“[4]

Über Rituale finden wir in dem Lexikon folgenden Passus:

„Ein Ritual (von lateinisch ritualis ‚den Ritus betreffend‘, rituell) ist eine nach vorgegebenen Regeln ablaufende, meist formelle und oft feierlich-festliche Handlung mit hohem Symbolgehalt. Sie wird häufig von bestimmten Wortformeln und festgelegten Gesten begleitet und kann religiöser oder weltlicher Art sein (z. B. Gottesdienst, Begrüßung, Hochzeit, Begräbnis, Aufnahmefeier usw.). Ein festgelegtes Zeremoniell (Ordnung) von Ritualen oder rituellen Handlungen bezeichnet man als Ritus.“[5]

Der Text gerät wenig überraschend beschreibend-summarisch, jedoch wenig oder gar nicht analysierend. Das deckt sich mit unseren ersten Eindrücken. Deshalb aber bleibt auch so vieles offen. Was ist der Sinn und Zweck solcher Rituale? Wer hat sie erfunden? Warum sind Rituale offenbar so verbreitet, gehören zu unserem Alltag? Und was haben Rituale mit Grenzen zu tun?

Im folgenden wird es darum gehen, diesen Fragen nachzugehen und das Phänomen grundsätzlicher zu betrachten und so vermutete, dahinter liegende, versteckte Gründe und Motive aufzudecken.

2. Performanz und Ritual

Bevor wir uns dem Phänomen widmen, gilt es ein wenig stärker auszuholen, um einerseits die bisherigen Interpretationsangebote historisieren zu können und um andererseits uns selbst mit unseren Wertungen und Ideen verorten zu können.

Nach mehreren Schüben und Beschleunigungsphasen im Zuge einer weiteren Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der akademischen Disziplin Geschichtswissenschaft haben sich neuere erkenntnistheoretische Perspektiven und methodische Zugriffe ergeben, die wir für die Beantwortung unserer Fragen verwenden können.

Seit etwa 20 Jahren wird im Fach von der kulturwissenschaftlichen Wende (dem cultural turn) gesprochen.[6] Dahinter verbergen sich etliche Markierungspunkte:

Erstens, zeitlich wechselwirksam, eine Veränderung der gesellschaftlichen Grundlagen sowie eben auch eine Pluralisierung der universitären Fachstruktur. Die Vielfalt von gesellschaftlichen Lebensentwürfen, bunten Nischenexistenzen und alternativen Daseinsformen spiegelt sich in der akademischen Grundkonstellation, die Abstand genommen hat von der Praxis einzelner Meinungsführer und unangefochtener Großdeuter in der Logik des alten Bildungsbürgertums. Stattdessen sind viele Ansätze und Perspektiven abseits des Mainstreams möglich geworden.

Zweitens geht damit einher der gefühlte Verlust vermeintlicher Sicherheiten und Gewissheiten, wiederum spiegelbildlich einander bedingend in Gesellschaft und Wissenschaft. Auf historiographischer Ebene zeigt sich dies an der Infragestellung von Großtheorien und Metaerzählungen, die ein teleologisches, also zielgerichtetes, sozusagen vorgegebenes Entwicklungsmuster von Vergangenheit geboten haben. Mit diesem Kunstgriff wurden historische Epochen offenbar zielsicher unter ein Label gefasst und in universal-transferierender Absicht erklärt. Am bekanntesten sind etwa das auf Max Weber basierende Modernisierungsparadigma oder das Marxistische Geschichtsverständnis. Dies gilt letztlich auch für die Metaerzählungen im Gewand der einzelnen Nationalgeschichten; immerhin galt das Fach etwa in Deutschland generationenlang als ideologische Legitimationsmaschine für ein bestimmtes, obrigkeitlich motiviertes Staats- und Gesellschaftskonzept.

Drittens produzierte diese Entwicklung die Aufnahme neuer Ideen und Subdisziplinen, die nun nicht mehr die große Allgemeingültigkeit beanspruchten, sondern eher sektoral arbeiteten. Die beachtliche Diversifikation der Ansätze und Arbeitsgebiete hat ein erfrischendes Klima in die oftmals vergreisten Denkfabriken und Hörsäle gebracht.

Zentraler Kondensationspunkt dieser innovativen, seit 20 Jahren unübersehbaren Neuaufstellung der akademischen Disziplin Geschichtswissenschaft bildet die von einer profunden Selbstreflektion ausgehenden, grundlegenden Modi der Erkenntnisgenerierung. Diese erkenntnistheoretische Ausleuchtung funktioniert auf beiden Seiten, auf der Seite des Betrachteten wie auf der Seite des Betrachters. Bleiben wir auf der Seite des Betrachters.

In dem Maße, wie wir uns von den alten Interpretationsmustern und Großdeutungen entfernen und in einem durchaus schmerzlichen Prozess erkennen, dass wir selbst die Produzenten oder Agenten von Erzählungen sind, und uns gewiss werden, dass Vergangenheit als physikalische Einheit und Geschichte als Erzählung ebenso wie physische Realität und soziale Wahrnehmung von Realität vollkommen unterschiedliche Elemente darstellen, wird uns klar vor Augen geführt, dass wir immer beides sind: Historiker, Untersucher, die versuchen nach wissenschaftlichen Kriterien vergangene Zeiten zu untersuchen, zugleich aber auch Akteur, selbst eingebunden in eine jeweils ganz eigene Umwelt.

Sehr anschaulich hat diesen Umstand der Historiker Martin Rheinheimer im Jahre 2011 ausgedrückt:

„Geschichte entsteht subjektiv aus der Erfahrung, die uns selbst unmittelbar geprägt hat; sie wird uns aber auch indirekt mitgegeben aus den Erfahrungen der vorausgehenden Generationen. Je weiter sie entfernt ist, desto mittelbarer und gebrochen über fremde Wahrnehmungen und Erfahrungen wirkt sie auf uns. Daher finden wir bei unserer Geburt bereits eine Welt mit ihren Sinngebungen und Deutungen vor, die aus historischer Erfahrung gewachsen ist, in die wir hineinwachsen und die wir unhinterfragt rezipieren, solange nicht eigene Erfahrungen uns an ihrer Wahrheit zweifeln lassen. In diesem dialektischen Prozess nimmt Geschichte, die mehr ist als nur subjektive Erfahrung, Gestalt an. Geschichte ist eben nicht einfach die Summe aller historischen Begebenheiten oder Strukturen, sondern sie gewinnt über Erfahrungen Sinn, lebt und verändert sich. Deshalb müssen die Mechanismen der Weitergabe und des Brechens von Erfahrung bei der Weitergabe ein zentrales Thema der Geschichtsforschung sein.“[7]

Ich will diesen Punkt an dieser Stelle nicht weiter vertiefen. Mehrere theoretische Angebote, teilweise bereits in den 1950er und 1960er Jahren entstanden, doch damals von Historikern kaum rezipiert, haben diesen Prozess flankiert: Zeichenhaftigkeit von Sprache und Denken (Saussure, Wittgenstein, Chomsky)[8] seit dem frühen 20. Jahrhundert, Wissenssoziologie (Berger, Luckmann, 1966)[9] sowie Sozialkonstruktivismus (Glasersfeld, Foerster) seit den 1960er Jahren[10], Diskurstheorien (Habermas, Foucault) seit den 1970er Jahren[11], den Moderne-Kritiken eines Jean-François Lyotard (unter Rückgriff auf Ludwig Wittgenstein in seiner wegweisenden Studie von 1979 Das postmoderne Wissen)[12], Kultursoziologie und Kultursemiotik (Bourdieu) seit den 1980er Jahren[13] sowie die fruchtbare Kooperation von Kognitionswissenschaftlern, Hirnphysiologen und Philosophen seit der Jahrtausendwende[14].

Wichtig wird nicht mehr der Fakt an sich, sondern die Bedeutung, die Akteure dem Fakt beimessen, wichtig ist nicht mehr, was Historiker geschrieben und bewertet haben, sondern wie und warum sie etwas geschrieben haben.

Zu den Folgen dieser Neuausrichtung zählen etwa die Absage an den Kollektivierungswahn des Strukturfunktionalismus und stattdessen die Konzentration auf neue thematische Felder wie Begriffsgeschichte, Historiographiegeschichte, die kritische Beäugung von Forschungs- und Quellenbegriffen, grundsätzliche Quellenkritik, Erweiterung des Quellenbegriffs, Methodologie.

In den besonderen Mittelpunkt rückt somit ein erkenntnistheoretisch geprägter Akteursbegriff. Akteure sind, und ich folge hier einer passenden Formulierung von Julia Wille, demnach als menschliche Individuen stets im Rahmen von Akteursgruppen zu denken. Gemäß konstruktivistischen Grundannahmen ist ein Überleben einer einzelnen Person nur vor dem Hintergrund sozialer Sinnstiftung und intersubjektiver Konsenskonstruktionen denkbar. Der Mensch als soziales Wesen bedient sich bewusster und unbewusster Spiegelungsmechanismen, um seine sogenannten Ich-Konstruktionen aufrecht zu erhalten, Reize, Wahrnehmungen und Erfahrungen sinngebend einzuordnen, die Komplexität des Lebens zu reduzieren und ein Überleben zu gewährleisten.

Dies gelingt ihm durch vielseitig-bewegte und andauernde, materiell oder immateriell fassbare Kommunikationsprozesse, die zentral an das sprachliche Zeichensystem und somit an intersubjektive Sinn- und Bedeutungszuschreibungen, gebunden sind.

Mittels unzähliger semantischer Konzepte, wie z.B. Nation, Staat, Volk, Gesellschaft, Familie, Verein, und verschiedener kognitiver Modi, wie z.B. dem Erzählen, konstruieren sich die Akteure Zugehörigkeiten, Gruppen, Abhängigkeiten, eigene kognitive Schubladen und Wissenshorizonte, vor deren Hintergrund sie ihre jeweiligen Identitäten konstituieren.

Die Identitätskonzeptionen unterliegen dabei einem steten Wandel und sind abhängig von den spezifisch-situativen und kontextbezogenen Anforderungen, in denen sich die Akteure entsprechend ihrer mentalen Prädispositionen und ihrer Erfahrungshorizonte reflektieren und scheinbar nachgeordnet, vielmehr aber immanent, Handlungskonzepte abrufen.

Kongenial zum Akteurskonzept bietet der von Edmund Husserl (1859-1938) geprägte und von Alfred Schütz (1899-1959) weiter entwickelte Begriff der Lebenswelt seine Umwelt-Entsprechung.[15] Lebenswelt bündelt dabei die strukturell vorhandenen, sozusagen objektiv fassbaren Umweltfaktoren mit den von Akteuren empfundenen subjektiven Weltdeutungen.

Wie schon einmal erwähnt, wird in diesem Kontext gerne die Formel von der kulturalistischen Wende benutzt. Der Begriff Kultur ist hier missverständlich. Da uns die unmittelbaren kognitiven Vorgänge der Akteure naturgemäß verborgen bleiben, können wir diese nur über die Akteur-Umwelt-Interaktionen indirekt fassen. Reinhard Sieder spricht in diesem Zusammenhang von Kultur und meint damit die Ebene der Wahrnehmungen, Bedeutungen und Sinnstiftungen der Akteure, sowie deren symbolischer Ausdruck in Texten, Bildern, Gegenständen, Ritualen, Gesten usw.[16]

Nun werden auch die in den letzten ein bis zwei Dekaden aufkommenden, jeweils Aufmerksamkeit und rasch Verbreitung findenden turns verständlich: der iconic turn, der emotional turn, der linguistic turn, der spatial turn oder eben auch der performative turn. Alle diese Forschungsfelder setzen an dieser methodischen Herausforderung, nämlich der nur indirekt abbildbaren Modi und Wirkungsmechanismen der Akteur-Umwelt-Interaktion, an. Dabei wird jeweils eine spezifische Ausdrucksform menschlichen Daseins längsschnittartig gewählt, um über die Differenz zu den weit gefächerten situativen und zeitübergreifenden Akteurskontexten zu authentischen Ergebnissen zu kommen: das offenbar wechselwirksame Zusammenspiel vermuteter (sozial)anthropologischer Konstanten mit menschlich-kulturellen Wahrnehmungs-, Artikulations- und Handlungscodierungen lässt tiefenscharfe relationale Verortungen zu.

Es dürfte kein Zufall sein, dass diese Herangehensweise nur in fachübergreifender Kooperation erfolgen kann, sozusagen in einer ganz speziellen Art der Grenzüberschreitung: So werden geographische, biologische, theaterwissenschaftliche, kunstwissenschaftliche, psychologische, sprach- und literaturwissenschaftliche Methoden und Erkenntnistheorien mit historischen Vorgehensweisen kombiniert.

Für uns spielt im folgenden der performative turn eine entscheidende Rolle.

Die bekannte Berliner Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte deutet Performanz im Sinne von Handlung (auch als Theatralität bezeichnet) als jede Art von Aufführung. Jede Aufführung sei ein einmaliges Ereignis, flüchtig und transitorisch, in der Regel würden mehrere Sinne parallel beeindruckt, es würden Räumlichkeit, Körperlichkeit und Lautlichkeit erfahren und, ganz wichtig, es erfolge eine Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern.[17]

War diese Performanz zunächst eher ein theaterwissenschaftlich wahrgenommenes Phänomen, so ist in den 1990er Jahren immer deutlicher geworden, dass dieser Vorgang sich nicht nur im Theater, sondern auch im Sport, bei Politikerauftritten, im privaten Bereich auf Hochzeiten und Begräbnissen, ja letztlich andauernd und alltäglich, vollzieht und beobachten lässt.

Während sich vor allem Ethnologen und Theaterwissenschaftler, aber auch Philosophie und Soziologie mit dem Phänomen befasst haben, blieb die Geschichtswissenschaft hier lange Zeit recht zögerlich. Fast ungehört blieb der Aufruf der Historiker Jürgen Martschukat und Steffen Patzold, die den Paradigmenwechsel von text- zu handlungsorientierten Betrachtungsweisen forderten. Performanz sei ein „kulturwissenschaftlicher Leitbegriff“ geworden, der Handlungskonzepte fasse, in denen „individuelle wie kulturelle Selbstschöpfung durch Handlungsweisen“ begründet und wiederbegründet werden.[18]

Wir fassen die Grundthese des performative turn zusammen:

Aktionen, Handlungen, aber auch Körperhaltungen, Gesten, Mimiken, Sprechakte, das Tragen bestimmter Kleidung besitzen offenbar eine zentrale Bedeutung für die Akteur-Umwelt-Interaktion. Komplexe Sachverhalte können über die Ansprache der Sinne reduziert werden, indem diese sichtbar, hörbar, fühlbar werden. Da diese sensuale Erfahrbarkeit von Welt stets im Akteursverbund, in der konstruierten Gemeinschaft, stattfindet, wird der besondere Wahrheitscharakter der Botschaft, des sozialen Sinns, unterstützt.

Zentraler Aspekt der Performanzforschung ist das Ritual. Eingebettet in die Performanzlogik kann das Ritual als besondere Gattung von Aufführung, von Performanz interpretiert werden. Zu den Merkmalen zählen etwa standardisierte Wiederholungen von Handlungen, dramatisches und expressives Pathos. In Ritualen dominiert eine Prozessabfolge, die von den an ihnen Beteiligten zwar aktiv initiiert und vollzogen wird, von der diese aber im Akt des Vollzuges selbst erfasst werden. Sie werden also einerseits geplant, initiiert, inszeniert und ausgeübt, andererseits vollziehen sie sich quasi von selbst, schreiben den Beteiligten ihre Handlungen weitgehend vor, und sie entfalten ihre Wirkung um so effizienter, je undurchsichtiger ihre Wirkungsweise für die an ihnen Beteiligten bleibt.

Mit dieser Einschätzung wird der besondere Status des Forschungskonzepts Ritual vor Augen geführt; dies ist wichtig festzuhalten, denn die alltagssprachliche, inhaltlich flacher ausgerichtete Semantik fasst nämlich lediglich Routinen, Gewohnheiten, Handlungsketten wie etwa Zähneputzen, Abwaschen, Schuhe binden, Rasieren.

Ein besonderer Ritualtyp ist das Initiationsritual.

3. Initiationsrituale

Damit kommen wir zum eigentlichen Gegenstand des Vortrags, den Initiationsritualen. Der Übergang eines Akteurs wird als Initiation bezeichnet. Er kommt also irgendwoher und geht irgendwo hinein. Dabei kann das Davor und das Danach unterschiedliche Dimensionen haben: lebenszyklische, berufliche, politische, sozial-gesellschaftliche.

Die Forschung hat sich erstaunlich spät intensiver mit dem Thema auseinander gesetzt. Zwar hat der französische Ethnologe Arnold van Gennep (1873-1957) bereits 1909 in seinem Werk Les rites de passage den transformativen, grenzüberschreitenden Charakter von Initiationsritualen beschrieben.[19] Doch provozierte er mit seiner These das damalige akademische Establishment, Initiationsrituale gäbe es auch in europäischen Gesellschaften und zudem auch außerhalb des engeren religiösen Kontextes. Das war den Mandarinen[20] zu viel: Man wollte zwar über andere Kulturen urteilen, nicht jedoch sich selbst reflektieren müssen, selbst zum Akteur und zum Forschungsobjekt geraten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg haben vor allem Soziologen und Anthropologen das Thema weiter entwickelt: Victor Turner (1920-1983), Catherine Bell (1952-2008), Clifford Geertz (1926-2006) oder Mary Douglas (1921-2007).

In Deutschland übersprang das Interesse erst in den späten 1980ern und den 1990er Jahren auch die Grenze zur Geschichtswissenschaft. Dass das Werk von Gennep erst 1986 ins Deutsche übersetzt wurde, mitten in einen Boom ethnologischer und kulturwissenschaftlicher Debatten, verwundert da nicht. Die kulturwissenschaftliche Wende und hier speziell der performative turn haben dann in den vergangenen 10-15 Jahren zu einer breiteren, eben auch geschichtswissenschaftlichen Erforschung des Phänomens geführt.

Alle Ritualforscher haben, aufbauend auf Gennep, auf die Ubiquität von Initiationsritualen hingewiesen. So können wir in jeder Kultur in Vergangenheit und Gegenwart entsprechende Vorgänge beobachten.

– Lebenszyklische Initiationsrituale: z.B. Geburt, Konfirmation/Kommunion, Jugendweihe, Heirat, Beerdigung
– Berufliche Initiationsrituale: z.B. Immatrikulation an der Hochschule, Aufnahme in einen Lehrberuf, Vereidigung beim Militär
– Politische und sozial-gesellschaftliche Initiationsrituale: z.B. Aufnahme in spezielle Zirkel und Vereine wie Freimauerer oder die Vereidigung von Regierungsvertretern

Gennep trennt das Übergangsritual in drei Phasen: eine Trennungsphase, eine Schwellen- und Übergangsphase sowie eine Angliederungsphase.

Besonderes Augenmerk liegt auf der mittleren Phase, die einen besonderen Zwischenstand anzeigt, der nicht selten Merkmale des Unstrukturierten, Paradoxen, Undifferenzierten und Inversiven ausmacht. Victor Turner hat diese Phase als Vorbereitung auf den Wandel durch die Initiation ausgemacht, in der sich die altbekannten Konventionen und Verhaltensmuster auflösen und die Potenziale der Transformation andeuten. Menschen, die sich in dieser Phase befinden, sind dann irgendwie weg, nicht mehr zum Alten gehörend und noch nicht zum Neuen zählend: Sie sind Neophyten, eigentlich nicht vorhanden.[21]

Ich möchte zur Erläuterung zwei Beispiele anführen. Zunächst betreten wir die Welt der Zünfte im frühen 18. Jahrhundert. Friedrich Frese beschreibt aus seinen in Leipzig 1708 erschienenen Lebenserinnerungen die Initiation eines Tischlerlehrlings zum Tischlergesellen:

„Sie legen den Jungen, welchen sie nur Kuh-Schwantz nennen, auf eine Bank, beschneiden, behacken und behobeln ihn und brauchen alle Werkzeuge der Tischler an ihm, als denn muß er sich in die Stube legen, da denn einem Gesellen von denen Meistern aufgegeben wird eine architektonische Säule, welche sie wollen, aus ihm zu machen. Solche muß ein Geselle mit einem großen hölzernen Circul, an dessen einem Fuß ein mit schwarzer Farbe eingenetzter Pinsel steckt, an dem in der Stube liegenden Kandidaten aufreissen. Wenn nun der Geselle mit dem Riß fertig ist, so spricht ein Meister: die Säule wäre nicht recht, und sei nichts nütze. Darauf der Geselle die Hand voll Ruß habende, des neuen Gesellens Gesichte überstreichet und ihn also schwarz machet. Nach einer längeren Rede endet der Redner mit dem Satz, Darum, mein lieber Kuhschwantz tu dich bedenken und laß dem Meister eine Kanne Bier einschenken. Wenn nun diese Zeremonien alle vollbracht, muß der gemachte neue Geselle sich wieder rein und sauber ankleiden, als dann spielen die Gesellen mit ihm in der Karte, wodurch er gleichsam ehrlich gemachet wird.“[22]

Es fällt auf, dass die mittlere, die Übergangsphase, ihre spezielle Ausformung erfährt. Mit einer Schwärzung wird der Initiant unkenntlich, eben neophytisch gemacht, um dann in seinen neuen Status als Geselle aufgenommen zu werden.

Das zweite Beispiel beinhaltet Initiationsrituale an heutigen Universitäten. Im Februar 2015 publizierte das Online Magazin Uni Spiegel drei Bilder von ritualisierten Immatrikulationsfeien:[23] Einmal sind Medizin-Erstsemester an der Universität von Granada in Spanien zu erkennen, zum zweiten angehende Technikstudenten der Universität von Toronto in Kanada sowie zum dritten Universitätsneulinge der Colorado School of Mines in Golden, USA. Wie auf dem Bild zu sehen ist, besudeln in Granada ihre älteren Kommilitonen die Neuen mit gelber Farbe, Soßen, Eiern, Mehl und anderer unbestimmter Pampe. Die neuen Technikstudenten in Toronto werden lila angemalt, in Golden attackieren sie sich gegenseitig mit Kalkfarbe und reißen sich dafür auch noch die Helme vom Kopf. In allen drei Fällen werden also jeweils die jungen Menschen farblich markiert und so deren Übergang kenntlich gemacht.

Eine andere Möglichkeit, den Initianden in die Übergangsphase zu verbringen, besteht darin, auf eine andere Art als die (Schwarz)färbung zu isolieren. Etwa, indem die Augen verbunden werden, das Gesicht verhüllt oder der Kandidat räumlich getrennt, isoliert wird.[24]

Ein wichtiges Merkmal des Initiationsrituals ist der Akt der Transzendenz. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung einer höheren Wirkmächtigkeit, einer Wahrheit jenseits des Begreifbaren, egal ob diese den Akteuren bewusst ist und ausgesprochen wird oder eben lediglich unbewusst, unausgesprochen, nur gefühlt. Erst dieser Einbezug einer jenseitigen Dimensionalität erfüllt über die Verschaffung einer nachhaltigen Sinngebung die ersehnte Komplexitätsreduktion.[25]

Bei näherer Betrachtung ergeben sich drei Funktionsebenen des Initiationsrituals.

Die erste, bereits von der Ritualforschung erarbeitete Funktion umfasst eine sozial-konservierende Komponente. Demnach würde die Dynamik des sozialen Lebens (Alters-, Status-, Berufsänderungen) ständig Grenzüberschreitungen erfordern. Menschen heiraten, werden geboren, werden erwachsen, sterben. Menschen ergreifen Besitztitel, schmieden Bündnisse, kommen in neue Positionen, werden Mitglied einer spezifischen Akteursgruppe. Diese Dynamik der steten Grenzüberschreitungen können Unruhen und Unsicherheiten verursachen: etwa die Besitzverschiebungen in einem Dorf aufgrund der Heirat zweier ohnehin schon begüterter Abkömmlinge oder die unerwartete Geburt eines weiteren Thronfolgers oder die Aufnahme von Akteuren in neue Amtspositionen. Somit könnten sich jeweils die Rahmenbedingungen im Blickwinkel der Akteure ändern, deren jeweilige Weltdeutungen und deren soziale Positionierung. Deshalb seien diese Dynamiken über Initiationsrituale zu kontrollieren und zu regeln, soziale Konflikte zu verhindern oder einzugrenzen, lokale Gemeinschaften und soziale Gruppen zu stabilisieren.

Die soeben beschriebene sozial-konservierende Funktion des Initiationsrituals folgt letztlich im Geiste Genneps funktionalistischen Annahmen und lotet zum einen nicht die tiefer liegende kulturanthropologische Dimension aus und vernachlässigt zum anderen die aus der akteursbedingten Eigen-Sicht resultierende aktive Urheberschaft.

Die zweite Funktion der Initiationsrituale umfasst somit eine manipulatorisch-legitimierende Motivation. Gehen wir von einem kulturanthropologischen Grundbedürfnis nach komplexitätsreduzierter Weltvermittlung aus, so liegt die Vermutung nahe, dass derartige Rituale gezielt inszeniert werden, um sie für bestimmte Ziele und Zwecke zu nutzen. Dabei spielt es nicht wirklich eine Rolle, wie weit diese Manipulation reicht, ob ein bestehendes Initiationsritual abgewandelt oder, im Extremfall sogar ganz dezidiert geschaffen wurde. Es geht dabei also um die Kontrolle des Rituals, um die Kontrolle der Wirkungsabsicht, um eine gezielte Instrumentalisierung. Diese Instrumentalisierung dient den Verantwortlichen dazu, materielle oder politische Interessen durchzusetzen. Alle Armeen der Welt inszenieren Initiationsrituale, um den Zusammenhalt der Truppe zu fördern und den Kampfgeist der Männer zu wecken. Staaten, Nationen, Parteien, Dynastien nutzen ebenfalls Rituale der Initiation, um die eigene Herrschaft zu legitimieren. Verquickt wird dies mit einem bestimmten Gesellschaftskonzept (Einschulung, Jugendweihe) oder religiösen Weltanschauungen (Priesterweihe, Hochzeit).

Dieses zweite Feld korrespondiert mit der dritten Funktion, die ich anarchisch-anthropologische Funktion nenne. Zwar versuchen Interessengruppen, Regierungen und andere Funktionsträger, Initiationsrituale für ihre Zwecke zu nutzen, jedoch scheitern diese immer wieder, da sich dieser Vorgang nicht dauerhaft und vollständig kontrollieren lässt. Ich hole dazu ein wenig aus. Bereits Turner hat festgestellt, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen der Exklusivität einer beizutretenden Gemeinschaft bzw. Akteursgruppe und den Auswüchsen während der mittleren Phase: Je exklusiver der Kreis sich versteht und wahrnimmt, desto aufwändiger die Beitrittsphase und somit desto höher die Zugangshürden. Bleiben wir bei dem Beispiel Militär. Zwar nutzt die militärische Leitungsebene ganz gezielt für ihre Zwecke Rituale wie die Rekrutenvereidigung oder den Fahnenappell, versucht aber zugleich wilde, anarchische, also unkontrollierte Rituale ohne großen Erfolg zu bekämpfen. Es ist wohl kein Zufall, dass gerade in Eliteeinheiten Neuankömmlinge ausgeklügelte Ekel- und Mutproben bestehen müssen, ehe diese aufgenommen werden. Der eingangs zitierte Vorfall innerhalb einer Elitetruppe der Kölner Polizei (SEK) hat dies sehr deutlich gemacht. Zudem dürften die Vorfälle auf dem Segelschulschiff Gorch Fock der sich als exklusiv empfindenden Bundesmarine noch in Erinnerung sein, bei denen es im Kontext untersagter Initiationsrituale zu Unfällen gekommen ist[26]. Nicht ohne Grund werden derartige Fälle von den Militärbehörden vertuscht, würde doch sonst offenbar, wie wenig Kontrolle tatsächlich ausgeübt werden kann und wie wenig die offiziellen Initiationsrituale gegenüber den anarchisch-anthropologisch Funktionsritualen an Bedeutung haben.

4. Resümee

Ich komme zum Resümee. Initiationsrituale sind allgegenwärtige Vorgänge in den Kulturen und Lebenswelten der Akteure in Vergangenheit und Gegenwart. Ihre Ubiquität ist nicht immer und jederzeit für alle erkennbar. Nicht nur, dass uns trotz der zuweilen ostentativen Zurschaustellung von Initiationsritualen immer wieder auch Ritualvorgänge nicht oder nur unvollständig bewusst sind, sondern auch, weil wir mit einer kaum überschaubaren Gemengelage verordneter, manipulativ inszenierter, gezielt geförderter, geduldeter, klandestiner oder autonomer Initiationsritualen konfrontiert werden. Darüber hinaus schiebt sich noch eine ganze Welle von kommerzialisierten Versionen, in denen die Attraktivität solcher Rituale in bestimmter, meist ökonomischer Absicht aufgepeppt wird: etwa die Äquatortaufen auf Kreuzfahrtschiffen oder auch die Bemühungen vieler deutscher Universitäten, Immatrikulationen oder Abschlusszeugnisvergaben ritualhaft und damit semantisch aufzuladen, zu gestalten.

 Hinter diesen Initiationsritualen verbergen sich Angebote einer Welterklärung, die auf Komplexitätsreduktion und Transzendenz beruhen. Dieses anthropologisch bedingte Bedürfnis nach Signalen von Richtigkeit und Kohärenz stellen eine evolutionär bedingte Kognitionsleistung der Akteure dar. Dieses Bedürfnis trifft auf sozialkulturelle Mechanismen, auf elaborierte, ausgeklügelte Formen, die jeweils spezifische Funktionen besitzen. Diese Funktionen habe ich sozial-konservierend, manipulatorisch-legitimierend sowie anarchisch-anthropologisch genannt. Ich habe einmal selbst erlebt, wie eine Ballonfahrt in einem heftigen, für mich vollkommen unerwarteten Eklat endete, als sich ein Passagier weigerte, die vom Ballonführer angestrebte Taufe für dessen Jungfernfahrt zu vollziehen. Für den einen war es ein Affront, für den anderen eine Zumutung.

Rituale sind Ausdruck verdichteter Kommunikation, sie schaffen Strukturen und vermitteln diese.

 Was hat das nun mit Grenze zu tun? In Initiationsritualen werden Grenzen sichtbar. Persönliche, soziale, politische, physische Grenzen. Diese Grenzen werden vermittelt, begründet, legitimiert, aber eben auch als überwindbar gezeigt. Kenntlichmachung und Überwindung gehen dabei Hand in Hand. Chancen und Nichtchancen stehen für die Akteure direkt nebeneinander. Grenzen werden dadurch versöhnlicher gemacht, indem sie grundsätzlich als überwindbar charakterisiert werden. Ein stetes Spielen und Aushandeln von Inklusion und Exklusion in Akteursgruppen. Grenzen und deren Überwindung stellen also das zentrale Motiv von Initiationsritualen dar. Diese konsensuale Ausrichtung zeichnet ein Bild von Umwelt und Lebenswelt, das Alltagserfahrungen von Begrenzung, von Veränderung transportiert in ein transzendentes, also komplexitätsreduziertes Deutungskonzept, welches Ordnung und Lebenslogik herstellt. Diese in Ritualen vermittelten Grenzen stellen somit ganz spezielle Indikatoren für Kulturen und Gesellschaften dar, indem sie Akteure dazu verleiten, Grenzen zu akzeptieren, auszutesten oder zu überwinden, dabei Chancen und Optionen auszuloten. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob diese Vorgänge in sogenannten traditionellen oder vermeintlich modernen Lebenswelten zu beobachten sind. Zwischen den Initiationsritualen von Astronauten im Weltall oder der Einschwärzung eines neuen Tischlergesellen im 18. Jahrhundert bestehen lediglich Unterschiede in der Ausgestaltung.

Werte Zuhörer, nun bin auch ich an meine Grenzen gestoßen, an die Grenzen der zeitlichen Vorgabe, an die Grenzen ihrer Aufmerksamkeitsspanne und Geduld, an die Grenzen meiner Überlegungen. Vielleicht gelingt es uns, in der nun folgenden Diskussion einige dieser Grenzen weiter hinauszuziehen und zu überwinden.

[1] Für wertvolle Hilfe und mannigfaltige Anregungen bedanke ich mich bei Silvan Pischnick, Peter Maaß und Julia Wille. Zudem danke ich den Studierenden in meiner Lehrveranstaltung über Ritual und Performanz für unbequeme Nachfragen und spannende Perspektiven.

[2] http://www.spiegel.de/panorama/justiz/koelner-polizei-loest-sek-nach-mobbingvorwuerfen-auf-a-1053052.html. Letzter Zugriff am 23.9.2015.

[3] Wiederum gilt mein Dank dem Kollegen Petsche, dem es abermals gelungen ist, eine bunte und spannende Ringvorlesung zu einer zentralen Thematik zu organisieren.

[4] Wikipediaartikel zu Zeremonie: https://de.wikipedia.org/wiki/Zeremonie. Letzter Zugriff am 7.10.2015.

[5] Wikipediaartikel zu Ritual: https://de.wikipedia.org/wiki/Ritual. Letzter Zugriff am 7.10.2015.

[6] Die Literatur hierzu ist extrem umfangreich. Deshalb erfolgen hier nur wenige Verweise: Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Hamburg 2006; Fredric Jameson, The Cultural Turn. Selected Writings on the Postmodern, 1983-1998, London 1998; Benjamin Ziemann, Überlegungen zur Form der Gesellschaftsgeschichte angesichts des „cultural turn“, in: Archiv für Sozialgeschichte (43) 2003, S. 600-616; oder Friedrich Jaeger, Jürgen Straub (Hg.), Was ist der Mensch, was Geschichte? Annäherungen an eine kulturwissenschaftliche Anthropologie, Bielefeld 2005.

[7] Martin Rheinheimer (Hg.), Der Durchgang durch die Welt. Lebenslauf, Generationen und Identität in der Neuzeit, Neumünster 2011, S. 7.

[8] Zu Ferdinand de Saussure (1857-1913) etwa: Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlass. Texte, Briefe und Dokumente. Gesammelt, übersetzt und eingeleitet von Johannes Fehr, Frankfurt/Main 2003; zu Ludwig Wittgenstein (1889-1951) etwa: Wulf Kellerwessel, Wittgensteins Sprachphilosophie in den Philosophischen Untersuchungen. Eine kommentierende Ersteinführung, Heusenstamm 2009; zu Noam Chomsky (geb. 1928) etwa: Günther Grewendorf, Noam Chomsky. Biographie, Werkanalyse, Rezeption, Zeittafel, Bibliographie, München 2006.

[9] Peter L. Berger (geb. 1928), Thomas Luckmann (geb. 1927), Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, 24. Auflage, Frankfurt/Main 2012 [1966].

[10] Zu Ernst von Glasersfeld (1917-2010) etwa: Gebhard Rusch (Hg.), Wissen und Wirklichkeit. Beiträge zum Konstruktivismus. Eine Hommage an Ernst von Glasersfeld, Heidelberg 1999; Willibald Dörfler, Josef Mitterer (Hg.), Ernst von Glasersfeld. Konstruktivismus statt Erkenntnistheorie, Klagenfurt 1998; zu Heinz von Foerster (1911-2002) etwa: ders., Sicht und Einsicht. Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie, Braunschweig 1985.

[11] Zu Jürgen Habermas (geb. 1929) etwa: ders., Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt/Main 1991, Chung-cheng Huang, Das Verhältnis von moralischem Diskurs und rechtlichem Diskurs bei Jürgen Habermas, Berlin 2007; zu Michel Foucault (1926-1984) etwa: ders., Die Ordnung des Diskurses, 12. Auflage, Frankfurt/Main 2012.

[12] Jean-François Lyotard (1924-1998), Das postmoderne Wissen, hrsg. von Peter Engelmann, 7. Auflage, Wien 2012 (frz. Originalausgabe von 1979 La condition postmoderne).

[13] Zu Pierre Bourdieu (1930-2002) etwa: Eva Barlösius, Pierre Bourdieu, 2. Auflage, Frankfurt/Main 2011.

[14] Die Kognitionswissenschaft ist das Ergebnis interdisziplinärer Bemühungen zwischen Psychologie, Neurowissenschaft, Informatik/künstlicher Intelligenz, Linguistik und Philosophie, aber auch Anthropologie und Soziologie. Vgl. Frank Rösler, Psychophysiologie der Kognition. Eine Einführung in die Kognitive Neurowissenschaft, Heidelberg 2011; Hans Bickes, Spracherwerb als Konstruktion sozial gerichteter Kognition, in: Wolfgang Funk, Lucia Krämer (Hg.), Fiktionen von Wirklichkeit. Authentizität zwischen Materialität und Konstruktion, Bielefeld 2011, S. 75-97, Max Urchs, Maschine, Körper, Geist. Eine Einführung in die Kognitionswissenschaft, Frankfurt/Main 2002.

[15] Vgl. hierzu etwa Matis Kronschläger, Die Einigung der Lebenswelt(en) nach Husserl, Wien 2012; sowie Ilja Srubar, Kosmion. Die Genese der pragmatischen Lebenswelttheorie von Alfred Schütz und ihr anthropologischer Hintergrund, Frankfurt/Main 1988.

[16] Reinhard Sieder, Sozialgeschichte auf dem Weg zu einer historischen Kulturgeschichte?, in: Geschichte und Gesellschaft 20 (1994), S. 445-468.

[17] Erika Fischer-Lichte, Performance, Inszenierung, Ritual. Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe, in: Jürgen Martschukat, Steffen Patzold (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003, S. 33-54.

[18] Jürgen Martschukat, Steffen Patzold, Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: dies. (Hg.), Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln 2003, S. 1-31.

[19] Arnold van Gennep, Les rites de passage (dt. Übergangsriten), Frankfurt/Main 1986 (Original 1909). Vgl. hierzu auch das vorzügliche Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherff, ebd., S. 233-255.

[20] Diesen ursprünglich auf Deutschland bezogenen Begriff prägte einst Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933, Stuttgart 1983 (Original Cambridge/Mass. 1969).

[21] Vgl. Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt/Main 2005 (1969); sowie Monika Wagner-Willi, Liminalität und soziales Drama. Die Ritualtheorie von Victor Turner, in: Christoph Wulf, Michael Göhlich, Jörg Zirfas (Hg.), Grundlagen des Performativen. Eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim 2001, S. 227-252.

[22] Zitiert nach Michael Stürmer (Hg.), Herbst des Alten Handwerks. Meister, Gesellen und Obrigkeit im 18. Jahrhundert, München 1986, S. 181f.

[23] magazin.spiegel.de/EpubDelivery/pdf/USP/2015/2. Letzter Zugriff am 8.10.2015.

[24] Vgl. hierzu die Abbildung eines „Suchenden“ aus dem Jahre 1745: https://de.wikipedia.org/wiki/Freimaurerei. Letzter Zugriff am 8.10.2015.

[25] Vgl. hierzu den wichtigen Sammelband von Andréa Belliger, David J. Krieger (Hg.), Ritualtheorien. Ein einführendes Handbuch, Wiesbaden 2008.

[26] Vgl. etwa den Bericht eines Beteiligten aus dem Jahre 2011: http://www.welt.de/politik/deutschland/article12264743/Gorch-Fock-Diebstahl-Demuetigung-Tod.html. Letzter Zugriff am 26.1.2016: oder http://www.spiegel.de/politik/deutschland/untersuchungsbericht-zur-gorch-fock-ekelrituale-nach-vorschrift-a-750920.html. Letzter Zugriff am 26.1.2016.