Wie mit Nach-Matrix-Sozialisierten umgehen (2021)

Folgender Beitrag ist publiziert worden in: Sebastian Ernst (Hg.), Emotionen in Wissensinstitutionen. Zur Bedeutung affektiver Dimensionen in Forschung, Lehre und Unterricht, Bielefeld 2021, S. 71-92

Wie mit Nach-Matrix-Sozialisierten umgehen, oder:
emotionale Herausforderungen bei der Vermittlung kulturwissenschaftlicher Inhalte

Ralf Pröve

I. Einstieg

Vor kurzem erlitt ich im Hörsaal einen kleinen didaktischen ‚Schock‘. Es geschah in meiner Vorlesung über den Konstruktionscharakter von Geschichtswissenschaft, als ich auf die berühmte, geradezu ikonische Pillenszene des aus dem Jahre 1999 stammenden Films Matrix verwies[1]. Statt der von mir erwarteten Reaktion auf einen seit etlichen Jahren erfolgreich genutzten Griff in den didaktischen Zauberkasten, nämlich eine Erkenntnis verheißende Resonanz, erntete ich die ratlose Frage einer Studierenden, was das denn überhaupt für ein Film sei, Matrix?

Dem Konzept dieses Sammelbandes folgend, der die zentrale Bedeutung von Gefühlen für den Lehrerfolg in Klassenzimmern und Hörsälen herausstellt, möchte ich aus dem Blickwinkel des kulturwissenschaftlich arbeitenden Historikers auf die Ursachen, aber auch auf die Potenziale dieser für mich damals emotional herausfordernden Situation eingehen.

Dabei gilt es, sich zunächst durch das Dickicht verschiedenster Zugänge und Ansätze zu kämpfen, die sich mit der Grundthematik Emotion in Schule und Universität[2] befasst haben und in diesem Dschungel mir meinen eigenen kulturwissenschaftlichen Weg zu bahnen.

Schon ein allererster Blick bei diesem Vorhaben offenbart, dass das Metathema Emotion bei offenbar allen akademischen Disziplinen verblüffender Weise lange Zeit nur ein Mauerblümchendasein geführt hatte[3]. Allzu lange nämlich wurden Emotionen in Opposition zur Ratio, zur Vernunft begriffen und damit als defizitär, als wissenschaftlich irrelevant ausgemacht[4]. Dieses Versäumnis gilt nicht nur für pädagogische und didaktische Fachrichtungen, sondern eben auch für geschichts- und kulturwissenschaftliche Zugänge[5]. Erst seit etwa 15-20 Jahren ist hier eine nachhaltige Änderung eingetreten: ganz unterschiedliche Fächer bearbeiten in ihrer jeweiligen disziplinären Fokussierung nunmehr intensiv emotionale Phänomene[6]. Insbesondere die Kulturwissenschaften haben vor einigen Jahren sogar eigens einen Emotional Turn ausgerufen. Doch bleiben wir zunächst bei den Unterrichtswissenschaften: BildungsforscherInnen, DidaktikerInnen und pädagogische PsychologInnen haben sich ebenfalls im Rahmen dieses allgemeinen Booms mit dem Thema befasst. Im Blickfeld standen Theorie und Diagnostik distinkter Emotionen erstens, Emotionsregulationsstrategien im Unterricht zweitens, die Herausstreichung von Emotionen in der Lehrsituation drittens sowie der kognitive Effekt von Emotionen viertens.[7] Im Einzelnen wurden bestimmte Emotionen wie etwa „Stolz“ als bereichernd skizziert und deren positive Wirkung auf die Leistungsbereitschaft beschrieben, emotionsauslösende Faktoren wie schulischer Erfolg oder Misserfolg untersucht oder die Wichtigkeit adäquater Emotionsregulationen für die Aufnahme von Informationen ausgeleuchtet[8]. Somit laufen die skizzierten Ansätze auf zwei Wege hinaus: Einerseits geht es darum, problematische und den Lernerfolg scheinbar behindernde Emotionen von SchülerInnen zu erkennen, andererseits diese Emotionen gezielt in als positiv geltende, den Lernerfolg begünstigende Bahnen zu wandeln, indem zum Beispiel Techniken wie Sitzordnung, Raumsituation, Diskussionsatmosphäre, Stimmungslage, Performanz, Auftreten, Gesichtsausdruck sowie Mimik und Körperhaltung des Lehrenden oder aber der spezifische Medieneinsatz berücksichtigt werden[9].

Diese beeindruckend breit gestreute Hinwendung zu Emotionsphänomenen im Lehrgeschehen vor allem an Schulen, aber eben auch an Universitäten ist erst einmal sehr zu begrüßen.

Eine grundsätzliche Herausforderung stellt die definitorische Eingrenzung sowie die damit zusammenhängende (Binnen-)Differenzierung von Emotionen dar. Während der Psychologe Reinhard Pekrun verschiedene Komposita benennt (affektive Emotionen, kognitive Emotionen, motivationelle Emotionen, expressive und physiologische Emotionen), streicht der Bildungsforscher Matthias Huber fünf Kernpunkte für den Konnex von Bildung und Emotion heraus: Emotionen als Erkenntnisquelle zur Entwicklung von Vernunft erstens, Emotionen als Voraussetzung für Lernprozesse zweitens, Emotionen als zentraler Beeinflussungsfaktor für das Lehren und Unterrichten drittens, Emotionen als Voraussetzung von Wahrnehmungsprozessen und Gedächtnisleistungen viertens sowie Emotionen als anthropologisches Grundprinzip fünftens[10]. Die Binnendifferenzierung von Emotionen geschieht häufig unreflektiert, indem anscheinend wahllos und oftmals wenig zielführend unter Einschluss tagesaktueller Emotions-Narrationen und umgangssprachlich gefasster Begrifflichkeiten („Coolness“) ein ganzes Kaleidoskop emotionaler Prozesse thematisiert und versprachlicht wird[11].

Sinnvoller wäre es wohl, wie Daniela Saxer es vorschlägt, stattdessen in primäre und sekundäre Emotionen zu differenzieren; ganz nach dem Beispiel der Farbenlehre, die in Grundfarben und Komplementärfarben unterscheidet[12]. Auf diese Weise kann es gelingen, sich auf die letztlich doch nur wenigen evolutionsbiologisch und sozialanthropologisch bedingten Kernemotionen zu konzentrieren, von denen sich dann andere, sozusagen Komplementäremotionen ableiten lassen.

Ich empfinde gerade die neueren und neuesten Ergebnisse der Bildungsforschung und der Pädagogischen Psychologie als recht beeindruckend und gewinnbringend. In ersten Ansätzen wird sogar begonnen, sich mit dem emotionalen Geschehen von DozentInnen als relevanten Faktor zu beschäftigen[13]. Demgegenüber fällt der fachdidaktische Blick deutlich zu kurz aus (in meinem Fall also der Geschichtsdidaktik)[14], indem entweder das Problemfeld Emotion vollkommen verschwiegen wurde[15] oder nicht mit, sondern über Emotionen hinweg diskutiert wurde.

Doch wie auch immer, aus Sicht des kulturwissenschaftlich arbeitenden Historikers ergeben sich ohnehin einige unbeantwortete Fragen, die sich aus meinem disziplinbedingten Paradigmenwechsel stellen[16]. Zwei fundamentale Probleme scheinen mir hier sichtbar zu werden. Erstens werden Emotionen semantisch verkürzt gefasst, eine Aufdeckung von deren komplexen Konstruktionscharakteristiken unterbleibt; statt hier also tiefer zu fassen, werden emotionale Phänomene als leicht zu handhabendes Instrumentarium für gelungenen Unterricht begriffen. Die Option, Emotionen vielmehr vor allem als zentralen erkenntnistheoretischen Vektor einzusetzen, wird somit nicht wirklich erkannt[17]. In diesem Verständnis von Emotionen fällt dann folgerichtig zweitens die Vorstellung eines letztlich immer noch immanent gedachten asymetrischen, frontal konzipierten Lehrgeschehens, in dem die Person des/der Lehrenden als ab- und herausgehoben begriffen wird, als losgelöste Autorität, sozusagen als alleiniger Regisseur des Unterrichtsgeschehens. Um Emotionen auf beiden Seiten in Klassenzimmern und Hörsälen einzusetzen, ist es aber notwendig, Rolle und Funktion von Lehrenden neu zu interpretieren[18].

Dies wiederum bedeutet aus DozentInnensicht, sich viel intensiver als bisher geschehen, mit sich selbst auseinanderzusetzen. Doch hier gilt weiterhin die Maxime der fast schon psycho-pathologischen „Selbstbeschweigung“ von Dozierenden und Lehrenden[19]. Die Versäumnisse von Fachdidaktik und Bildungswissenschaften sind hierbei vor allem symptomatisch zu verstehen, denn das eigentliche Problem liegt tiefer und hat sowohl bildungspolitische als auch erkenntnistheoretische Ursachen. Die Gründe für das bildungspolitische Manko sind komplex. Sie liegen im Kern in unserem spezifischen westlich-kapitalistischen Gesellschaftsmodell begründet, das entsprechend angepasste bildungspolitische Lehrkonzepte, austarierte Lehrinhalte und ein signifikantes Verständnis von Schule und Universität bewirkt hat. Im Ergebnis geht es, aller fachdidaktischen Träume oder blumiger Reden in den Kultusministerkonferenzen oder den bildungspolitischen Ausschüssen der Länderparlamente zum Trotz nicht um Bildung, sondern um Ausbildung, um die marktlogische Ein- und Aussortierung zukünftiger ArbeitnehmerInnen, SteuerzahlerInnen und VerbraucherInnen. Die Konsequenzen liegen dabei auf der Hand: Der Blick wird zu sehr auf die formalen Abschlüsse und den angestrebten BeamtInnenstatus gelegt. Wissenschaftsministerien und Universitätsleitungen legen, aller Beteuerungen zum Trotz, keinerlei Wert auf die tatsächliche Überprüfung didaktischer Fähigkeiten von HochschullehrerInnen, gehuldigt wird stattdessen dem goldenen Kalb der Drittmitteleinwerbung. Der Schulalltag ist situativ im Kontext von Beamtenrecht, Rahmenlehrplänen und Schulordnungen geprägt von Hierarchie, Anpassung und performativer LehrerInnenautorität. Ein Beispiel: vor einigen Jahren kam eine Studierende im Anschluss an eine Sitzung zu mir, die mich bat, sie bitte nicht an der Seminardiskussion zu beteiligen, sie könne nicht frei vor anderen sprechen. Ich entgegnete, kein Problem, dann sei es ja gut, dass sie nicht Lehramt studiere. Doch, doch, sie studiere allerdings auf Lehramt, möchte Beamtin werden. Auf meine behutsame Nachfrage, ob denn eine solche Berufswahl unter diesen Umständen sinnvoll sei, erfuhr ich, dass sie ja dann Autorität am Pult hätte, die SchülerInnen ihr zuhören müssten und ihr dann das Sprechen leichter fallen würde. Dieser kurze Austausch ließ mich etwas verstört zurück. Mehrere ähnliche Gespräche in den letzten zwei Jahren haben mir dann deutlich gemacht, dass diese Einstellung offenbar keineswegs singulär ist.

Natürlich bin ich nicht der erste und auch nicht der letzte, der diese Zustände in Schule und Universität kritisiert und ich weiß auch, dass es seit Jahrzehnten viele alternative Konzepte und vielversprechende Ansätze zur Überwindung dieser unguten Situation gegeben hat und gibt – leider nach wie vor mit bescheidenem Erfolg.

Ich möchte hier vor dem soeben skizzierten Hintergrund auf mein Eingangszitat zurückkommen und den Einsatz, ja die Notwendigkeit einer emotionalen, erkenntnistheoretisch fundierten Interaktion in der Lehre thematisieren. Meine These lautet: Wieso eignen sich Emotionen als Trägerwelle für Verstehen und Verständnis von vergangenen Kulturen in so besonderer Weise? Dazu werde ich zunächst die notwendigen kulturwissenschaftlichen Parameter des Fachs Geschichtswissenschaft zusammentragen, um anschließend Vorschläge für eine Operationalisierung von Gefühlskonstrukten in der Lehre aufzeigen.

II. Kulturwissenschaftliche Parameter

Die Entwicklung des Fachs Geschichtswissenschaft lässt sich im Großen und Ganzen in drei zeitlich gestaffelte Mainstreams, also bestimmten geschichtsphilosophisch, aber auch gesellschaftspolitisch induzierten Herangehensweisen gliedern[20]: erstens die lange Hochphase der sogenannten Großen Männer, in der bis in die 1960er Jahren hinein das Augenmerk auf Ereignisse und zeitlogische Betrachtungsweisen gelegt wurde; zweitens die von den 1960er bis in die 1990er Jahre florierende strukturfunktionalistische Perspektive, in der anhand von Zahlenmaterial der vermuteten Wirkungsweise von Strukturen sozusagen hinter den Menschen nachgespürt wurde; und drittens die seit den 1990er Jahren immer noch anhaltende kulturalistische Wende. In dieser steht die jeweilige Weltwahrnehmung von Menschen im Vordergrund, die wiederum nur indirekt als „Kultur“ fassbar ist, also durch Sprache, Kleidung, Geschlecht, Gesten, Gebärden, Körperhaltungen, Handlungen und vieles mehr. Verantwortlich für diese geschichtsphilosophischen Wandlungen sind nicht nur die wissenschaftlichen Paradigmenwechsel oder die gesellschaftlich-politischen Entwicklungen, sondern eben Veränderungen des Menschenbildes: von enthistorisierten Großen Männern, Helden oder Antihelden, denen passive Funktionsträger zur Seite gestellt werden, über Marionetten der Strukturen hin zu autarken Akteuren mit einer je eigenständigen Weltsicht und Handlungsvollmacht.

Kernthema dieses kulturalistischen Zugangs bildet demnach eine breit gefasste Akteur-Umwelt-Interaktion, da eine Messung der inneren Vorgänge eben nur indirekt möglich ist. Als wichtigstes methodisches Vorgehen gilt in diesem Kontext der praxeologische Ansatz, die Praxeologie als Theorie der Praxis. Bereits in den 1970er-Jahren begann Pierre Bourdieu damit, eine Theorie des Handelns zu entwickeln[21] und somit Menschen als Akteure zu begreifen, die sich in einem sozialen Raum, einem Feld, bewegen, dessen Gesetzmäßigkeiten unterliegen und befolgen und zugleich handelnd die Parameter dieses Raumes und dessen Gesetze stetig verändern.[22] Akteurinnen seien also einerseits den Gegebenheiten, den Strukturen (im Sinne Watzlawicks[23] also der Wirklichkeit 1. Ordnung) ausgeliefert, andererseits würden sie im Kontext ihrer eigenen Wahrnehmung (also der Wirklichkeit 2. Ordnung) diese immer wieder durch ihr Handeln verändern.

In gewisser Weise erfolgt somit eine Vermengung von Struktur und Kultur, wobei unter Struktur sowohl natürliche Strukturen (Klima, Geografie), aber auch von Menschen gemachte Strukturen, also Regeln, Tabus, Rituale, Gewohnheiten, Moden, Gesetze zu verstehen sind. Insofern geht es um die Wahrnehmung von Akteurinnen, deren jeweilige individuelle Aneignung von Wirklichkeit. Eine Aneignung, die über Kommunikationsprozesse und das Handeln, das Praktizieren, erfolgt. Die Differenz zwischen diesen beiden Polen zu beschreiben, deren jeweilige relative Abweichung, hat sich für die Kulturwissenschaften zu einem ubiquitären Messverfahren entwickelt.

Dieser geradezu revolutionäre Wandel im Fach Geschichtswissenschaft wird nicht umsonst als Cultural Turn[24], als kulturalistische Wende beschrieben, ganz im Sinne etwa einer (erkenntnistheoretischen) kopernikanischen Wende, wie es Stefan Haas so treffend beschrieben hat[25]. Aus dem kulturalistischen Grundkonzept heraus entwickelten sich weitere methodisch-thematische Erkenntnisparadigmen, die jeweils einen Baustein menschlichen Daseins kondensieren, um den herum sich anschließend unterschiedliche Beobachtungen filtern lassen. Neben einigen anderen Turns gehört dazu eben auch der Emotional Turn, also die Vorstellung, dass Menschen, Akteure sich ihre Welt hauptsächlich über und mit Emotionen (eigentlich: Emotionskonstrukten) erschließen und interpretieren.

Einen der wichtigsten Bausteine für die kulturalistische Wende bildet der Sozialkonstruktivismus, also in seinem Grundkonzept die Idee, dass Phänomene, die wir gemeinhin als selbstständig und an sich existierend betrachten, letztlich und im Grunde vom Denken, von der Sprache und der sozialen Praxis des Menschen erschaffen und zusammengesetzt oder eben konstruiert werden. Es gibt also demnach keine objektive und von allem losgelöste Wirklichkeit, sondern stets nur eine vermittelte, konstruierte, also subjektive Wirklichkeit – mithin also eine Pluralität von Wahrheiten und Wirklichkeiten.

Die Konsequenzen dieser erkenntnistheoretischen Parameter sind immens. Als Zwischenergebnis deuten sich vier Schwerpunkte an:

Erstens die dezidierte Beachtung von Praktiken der Selbstreflektion, zweitens die Funktionsweise von Quelle als Spiegelbild zwischen den Welten, drittens eine umfassende Medienkompetenz und viertens die Umsetzung in Schule und Universität.

III. Operationalisierung kulturell codierter Emotionen in der Lehre

Ich fasse kurz zusammen: Wir sind bei der Betrachtung kulturwissenschaftlicher Kontexte stets beides, AkteurIn und HistorikerIn, darüber hinaus sind wir mit der anderen, der betrachteten Welt spiegelbildlich über und mit der Quelle verbunden. Daraus resultiert die dezidiert erkenntnistheoretisch motivierte Offenlegung der eigenen Sozialisation, die Anerkennung der persönlichen Zeitgebundenheit, der spezifischen Milieuverhaftung sowie des frühkindlichen Erfahrungspotpourris. Auf diese Weise können Handlungsoptionen, innere Sichtweisen und Identitätskonzepte, aber auch spezifische Formen von Weltwahrnehmung sowohl für den Erkenntnisprozess als auch für die Lehre genutzt werden.

Hier kommen Emotionen ins Spiel. Gefühle wie etwa Zorn, Angst, Begehren oder Abscheu sind physiologisch mittels Neurotransmitter oder Muskelaktivität nachweisbare, evolutionsbiologisch bedingte Prozesse (Aktivierung des Hormonausstoßes sowie Erhöhung von Muskeltonus und Blutdruck, was dann etwa zum Zittern, Erbleichen, Tränen- oder Schweißausbruch führen kann), die verhaltenssteuernd und situationsanpassend wirken und somit Homo sapiens in seiner spezifischen Umwelt ein Überleben gewährleisten. Gerade die biologische Evidenz der Spezies Mensch, deren evolutionärer (Erfolgs-)Weg eben nicht als Einzelgänger (z.B. als Maulwurf) oder im Schwarm (z.B. Ameisen und Bienen) erfolgte, sondern in kleineren und mittleren Personenverbänden, macht die Bedeutung schnell les- und vermittelbarer Informationsweitergaben innerhalb der Gruppe mittels Emotionen so zentral. Für das absolut notwendige Empfangen und Interpretieren dieser (Umwelt-)Informationen, also im Wortsinn das Mit-Fühlen, macht die seit zehn Jahren florierende Forschung bestimmte Nervenzellen, sogenannte Spiegelneuronen, verantwortlich, deren direkter Nachweis beim Menschen erstmals im Jahre 2010 gelang[26]. Mag zu dieser Thematik unter den Naturwissenschaftlern auch noch viel zu forschen und zu diskutieren sein, so könnte sich doch für die Kulturwissenschaften hier ein wichtiger Missing Link schließen.

Emotionen stellen somit also körperliche, unbedingte Reaktionen dar, deren physiologische Innen-Vorgänge sich uns letztlich entziehen. Dies gilt in erster Linie auch für mich selbst und natürlich noch viel mehr für mein Gegenüber. Umso mehr können wir aber die emotionalen Auslöser, die Trigger, beobachten, die ebenso kulturell eingebunden und sozial erlernt sind wie die Ausdrucksformen emotionaler Zustände. Diese doppelte kulturelle Codierung von Emotionen (genauer: Emotionskonstruktionen), aus denen sich mehrere, ineinander verschachtelte Ebenen ergeben, lässt sich insbesondere mit Hilfe des praxeologischen Ansatzes entschlüsseln. Es lassen sich vier Schwerpunkte bei einer Durchleuchtung von Emotionskonstruktionen erkennen:

Der erste Schwerpunkt beinhaltet vor allem die zumeist verschriftlichten Deutungen und Beschreibungen von Emotionen. Hierzu zählen sowohl wissenschaftliche, aber auch gesellschaftliche, häufig medial vermittelte Debatten und Diskurse über emotionale Zustände, ebenso wie sprachgeschichtliche Ausprägungen von Begriffen, mit denen die Zeitgenossen Emotionen umschrieben haben, oder auch komplexe philosophische Abhandlungen zu dieser Thematik. In allen Fällen handelt es sich um Aufarbeitungen historischer Emotionsetikettierungen.

Soziokulturelle Trigger von Emotionen bilden den zweiten Schwerpunkt, der sowohl die erlernten Emotionsdarstellungen in sozialen Räumen und in performativen Situationen als auch das ‚Lesen’ und Verstehen von Emotionsdarstellungen umfasst. So haben Kulturen und Milieus jeweils ganz eigene feste Kanons geschaffen, wo, wie, wann und welche Emotionen zu zeigen sind, etwa bei einer Beerdigung oder anlässlich eines Heiratsantrages. Es geht dabei eben nicht um „tatsächliche“ Emotionen, sondern um für andere les- und verstehbare, in sozialen Orten und Kontexten als angemessen empfundene, kommunizierte und performativ verhandelte Emotionsdarstellungen. Um kommunizieren zu können, ist es unerlässlich, verbal, mimisch oder körpersprachlich Emotionsausdrücke einzusetzen, um von anderen überhaupt verstanden zu werden. Man könnte hier auch von emotionalen Standards sprechen[27].

Der dritte Schwerpunkt beinhaltet sprachliche Trigger. Zum einen geht es dabei unmittelbar darum, sich über physiologische Emotionszustände auszudrücken und diese zu versprachlichen und damit in einen sehr persönlichen, aber auch gruppenspezifischen Deutungsrahmen zu setzen. Sehr schnell wird dann deutlich, dass eine Definition etwa von Emotionskonzepten wie Liebe oder Hass nicht ohne weiteres möglich ist und wie demzufolge kaum beherrschbar das Gießen emotionalen Empfindens in Worte (und Gesten) umzusetzen ist. Zum anderen wird die emotionale Wirkung von Sprache, aber auch von Bildern geschickt genutzt, um Menschen zu manipulieren, sie dazu zu bringen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen oder etwa eine bestimmte Partei zu wählen. Dieser Effekt, diese unbewusst erlernte Verknüpfung von Kognition, Körperphysiologie und sozial antrainiertem Gefühlshaushalt ist Fluch und Segen zugleich, da die einmal erlernten Emotionstrigger immer wieder, eben auch unbewusst, für jederzeit abrufbare Emotionen eingesetzt werden können. Sowohl bei medizinischen Therapien als auch in der Werbeindustrie finden sich dafür ausreichend Beispiele. Einmal erlernte Emotionen sind kontinuierlich, auch gegen den eigenen Willen, abrufbar über Erfahrungs- bzw. Erinnerungsengramme aus Geräuschen, Musik, Gerüchen, Geschmäcker, Filmen, Gesten, erlebte Vorgänge, aber eben auch Bilder und Wortsemantiken[28].

Von hier aus ist der Weg zum vierten Schwerpunkt nicht mehr weit. So gehört es zu den Standardtherapien in der Psychologie frühkindlich erlittene Triggerung erlernter dissoziativer Emotionserfahrungen bzw. Emotionskonstrukte beim Patienten aufzuarbeiten, die jeweils tiefer liegenden Ursachen aufzudecken und auf diese Weise Auswege aus unguten Zwängen und Störungen aufzuzeigen.

Emotionen erhalten somit auf der Basis von Sozialkonstruktivismus und Cultural bzw. Emotional Turn für kulturwissenschaftliche Fragestellungen eine eminente Bedeutung, und zwar zweifach: Sie sind wichtige Indikatoren über vermittelte Gefühlszustände vergangener Kulturen. Da von der gleichen Physis der betrachteten Akteure, der gleichen evolutionsbiologischen Ausgangsbasis für emotionale Zustände auszugehen ist, können wir die jeweiligen Abweichungen, also die kulturell codierten Gefühlshaushalte der untersuchten Kulturen und Milieus weitaus präziser erkennen. Zudem dienen Emotionen mir als ForscherIn zum Ein- und Mitfühlen, versetzen mich überhaupt erst in den Stand, beschriebene Vorgänge zu verstehen und mit emotionalen Zuständen verschlüsselte Sachverhalte aufzudecken.

Wie schon oben angesprochen haben Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken die Komplexität von Emotionsphänomenen verkannt und weder die doppelte kulturelle Codierung in den Blick genommen noch die erkenntnistheoretischen Potenziale ausgelotet. Selbst der beachtliche und bereits viel weiter als andere Publikationen gehende Sammelband von Juliane Brauer und Martin Lücke über den Konnex von Emotionalität und historischem Lernen greift mir hier zu kurz. So versucht etwa Wolfgang Hasberg mit seinem Modell von Objekt- und Subjektdimensionen der Emotionalität eine Verständnis-Brücke zu bauen zwischen den Lernenden und den Akteuren vergangener Zeiten[29].

In meiner Perspektive ergeben sich drei miteinander verflochtene Ebenen:

Als Ebene 1 (und hier folge ich zumindest in Teilen durchaus Ansätzen der Bildungsforschung) bezeichne ich die Herbeiführung einer stets ausbalancierten, entspannten und offenen, aber auch erwartungsvollen Grundstimmung im Seminarraum oder Klassenzimmer als wesentliches Fundament. Dazu zählt die immer wieder ganz gezielte Aufbrechung und Störung gesellschaftlich vermittelter, kulturell anerzogener und häufig angstbeladener Erwartungshaltungen, die sich sowohl in der Lehrperson als auch ganz generell in den institutionell-administrativen Logiken von Schule und Universität bis hin in der konkreten Sitzordnung im Raum manifestieren können; auch auf diese Weise kann letztlich stets der Konstruktionscharakter von Lehrsituationen sichtbar gemacht werden. Voraussetzung dafür ist eine gewisse Authentizität und Selbstreflektion, der gezielte Einsatz eigener Stimmungslagen und die ehrliche Offenlegung, was die eigenen Sichtweisen und Leistungserwartungen angeht[30]. Ein Ziel stellt dabei die Herstellung bzw. Sicherung einer gegenseitigen Wertschätzung sowohl zwischen Studierenden und Dozenten als auch zwischen den Studierenden dar, die sich in einem achtsamen Umgang und einer erlebten Form der Selbstwirksamkeit ausdrückt. Wichtig ist, dass es dabei eben nicht nur um die Erzeugung emotionaler Prozesse als solche geht, sondern vielmehr über und mittels dieser Emotionen ermöglichte Eröffnung und Ebnung erkenntnistheoretischer Wege.

Ebene 2 setzt dann an dieser Stelle ein, indem das doppelt konstruierte Wechselwirkungsfeld von DozentIn, StudentIn und vorliegendem Diskussionsgegenstand (egal ob eine „Quelle“ oder einen Forschungsaufsatz) erfasst und immer wieder diskutiert wird. Dabei werden die jeweils bestehenden sozial vermittelten und kulturell codierten Bewertungskontexte regelhaft zur Sprache gebracht, so dass sowohl DozentIn als auch Lernende mittels Selbstreflektion ihre jeweils eigenen eingeübten Wahrnehmungsmuster und Denkpositionen zu be- und hinterfragen haben, ebenso wie auf diese Weise auch die Quelle zu dekonstruieren ist[31]. An dieser Stelle wird dann eben auch deutlich, wie eminent wichtig die Erfahrung von Selbstwirksamkeit ist. Denn nur in einer offenen Seminardiskussionskultur, in der dezidiert auch abweichende Meinungen und alternative Interpretationswege eben nicht im Sinne eines eindimensional begriffenen Wahrheitsverständnisses und durch Ausnutzung der autoritär hinterlegten Position des Dozenten schnöde abgewiesen werden, lassen sich die grundlegenden erkenntnistheoretischen Parameter in ihrem Kern offenbaren.

Wird auf der ersten Ebene für eine entspannte emotionale Stimmungslage gesorgt und auf der zweiten Ebene Emotionen im Sinne ihres kulturell konstruierten Charakters thematisiert, so fließen diese in der dritten Ebene zusammen. Hier geht es darum, den Spagat zwischen „tatsächlichen“ und konstruierten emotionalen Zuständen zu vollziehen. Auf diese Weise kann es dann gelingen, über damit verbundene Differenzerfahrungen ganz praktisch die Wirksamkeit zentraler Erkenntnistheorien zu erfassen. Somit gerät meine eigene Lebenswelt zu einem Labor, in dem kognitive Prozesse eingeleitet und Verstehensvorgänge für die eigene, aber eben auch zugleich für die andere, vermeintlich fremde Lebenswelt von Anderen initialisiert werden. Ich setze also als Dozent im eben skizzierten Wirkdreieck die jeweilige lebensweltliche Relationalität miteinander in Beziehung, indem ich zum Beispiel in meinem Seminar über Tier-Mensch-Beziehungen in der Frühen Neuzeit zunächst in aufgelockerter Atmosphäre Erlebnisse der Studierenden mit ihrem geliebten Haustier sammele, um dann deren Erfahrungen mit einem passenden Quellentext zu kontrastieren. Dabei wird dann nicht nur der doppelte Konstruktionscharakter von Emotionen (in diesem Fall zu Tieren) aufgezeigt, sondern zugleich ein Verständnis dafür entwickelt, dass meine Gefühle ein zentrales Instrument der Welterklärung darstellen; ein Instrument freilich, dessen sinnvoller Einsatz aber von der Dekonstruktion der jeweiligen Triggerung abhängt.

Um zum Schluss auf mein Einstiegsmoment des Matrix-Beispiels zurückzukommen: in meiner thematisch durchaus herausfordernden Vorlesung über Theorie und Methoden der Geschichtswissenschaft thematisiere ich ausführlich das Konzept des Sozialkonstruktivismus. Um ein besseres Verständnis dafür zu erzielen, nutze ich popkulturelle Verweise, solche also, die emotionalisierter Bestandteil der studentischen Lebenswelt sind, um auf diese Weise zu signalisieren: dass was so abgehoben und wissenschaftlich klingt, war immer schon Bestandteil des eigenen Daseins.

Freilich, und jetzt kommen wir zu meinem „Schock“, besteht die Herausforderung mit zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen mir und den Studierenden darin, jeweils noch die popkulturelle Referenz der entsprechenden Alterskohorte zu erreichen. Insbesondere unter soziologischen Vorzeichen wird hier bekanntlich mit Modellen gearbeitet, die etwa zehn bis maximal 15 Geburtsjahre umfassen[32]. Die VertreterInnen einzelner Kohorten seien dann hinsichtlich ähnlicher Erfahrungen in Kindheit und Jugend (Produkte, Medien, technische Entwicklungen, Ereignisse usw.) im Hinblick auf Alltagswelt und Lebenseinstellungen vergleichbar. Von einem kräftigen Augenzwinkern begleitet entstamme ich demnach der Kohorte der Babyboomer (55-65 Jahre), gefolgt von der Generation X („Generation Golf“ oder „Generation Nutella“), die wiederum von der Generation Y (den „Millenials“ oder „IMM: Irgendwas mit Medien“) abgelöst wird und diese dann von der jüngsten Generation Z („Schneeflocken“, „Zoomer“), die jetzt in den Lebenszwanzigern sind. Mir wurde also nicht nur unmissverständlich vor Augen geführt, wieder ein wenig älter geworden zu sein, sondern mir auch die Herausforderung bewusst, demnächst neue popkulturelle Anleihen finden zu müssen.

IV. Resümee

Emotionen sind zentraler Bestandteil menschlicher Existenz und keinesfalls im Gegensatz zur Vernunft zu verstehen. Dabei ist strikt zu trennen zwischen den evolutionär-biologisch bedingten emotionalen „tatsächlichen“ Vorgängen im Körper, die sich letztlich einer näheren Betrachtung entziehen, sowie den kulturell codierten und sozial erlernten Emotionszuständen. Diesen emotionalen Standards kommt dabei eine kommunikative und soziale Basisfunktion zu, indem sie in zwei Richtungen wirken: einerseits werden Emotionen immer wieder neu interpretiert und diskursiv definiert, andererseits situativ abgerufen und dargestellt, je nach sozialem Raum und sozialer Praktik. Diese doppelte kulturelle Codierung oder Konstruktion lässt sich vor allem mit Hilfe des praxeologischen Ansatzes entziffern.

Diese Zusammenhänge wurden von vielen Disziplinen erst relativ spät diskutiert; erst vor etwa 15-20 Jahren setzte unter den Vorzeichen von Postmoderne und Sozialkonstruktivismus ein Cultural Turn, zu dem eben auch ein Emotional Turn zählt, ein. Diese neuen thematischen Zugänge wurden nicht nur von den Kulturwissenschaften beschritten, sondern auch von den Bildungswissenschaften und – weniger ausgeprägt – den jeweiligen Fachdidaktiken. Allerdings wurde bisher der doppelte Konstruktionscharakter von Emotionen nicht wirklich erkannt und stattdessen das Augenmerk viel stärker auf vermeintliche „tatsächliche“ Emotionen gelegt. Eine Konsequenz besteht nun darin, emotionale Zustände als Mittel zur Erkenntnisgenerierung eben nicht zu nutzen und stattdessen Emotionen lediglich als Stilmittel einzusetzen. Dieses Stilmittel gelte es zu optimieren, indem unerwünschte Emotionen verdrängt und vielmehr als positiv geltende Emotionen hervorgebracht werden sollen, und fungiert somit letztlich, da dies nicht offen und mittels dezidierter Thematisierung mit den Studierenden geschieht, als manipulatorisches Werkzeug für das Unterrichtsgeschehen.

Dahinter steht das grundsätzliche bildungspolitisch, aber letztlich auch gesellschaftspolitisch induzierte Manko in Schule und Universität, trotz ritualhaft vorgebrachter gegenteiliger Bekundungen, die Person des/der Lehrenden stets als abgehoben, als losgelöste Autorität zu begreifen. Dazu passt das eindimensional gedachte Richtig-Falsch-Verständnis im Unterrichtsgeschehen, so dass vorgebrachte alternative Ideen von Schülern oder Studierenden eben nicht weiter diskutiert werden. Vor allem aber die Selbstbeschweigung, die mangelnde Selbstthematisierung von DozentInnen verhindert in meiner Sicht den nachhaltigen Einsatz emotionaler Zustände.


[1] Matrix (1999), Matrix Reloaded (2003), Matrix Revolutions (2003), Regie: Lana Wachowski (geboren als Larry Wachowski), und Lilly Wachowski (geboren als Andy Wachowski), produziert von Joel Silver. Die Pillenszene ist zu sehen in: https://www.youtube.com/watch?v=TAI4rZweU6s; letzter Zugriff am 21.7.2020. In dieser Szene wird der Held Neo von Morpheus gefragt, ob er die blaue Pille, die die Wiederaufnahme des alten, behüteten Lebens in der Matrix bedeutet, oder die rote Pille, die aus der Matrix heraus in den „Kaninchenbau“ führt, wählt.

[2] Obwohl ich in diesem Beitrag vornehmlich auf das universitäre Unterrichtsgeschehen fokussiere, sollte die schulische Situation stets mitgedacht werden. Die Unterschiede zwischen beiden Institutionen fallen ohnehin nicht absolut, sondern lediglich relativ aus; insbesondere zwischen den letzten Mittelstufenjahrgängen und der Oberstufe verschwimmen die Grenzen.

[3] So resümieren Matthias Huber und Sabine Krause mit Blick auf die Bildungswissenschaften das Emotionsdefizit wie folgt: Es sei die „das pädagogische Denken und Handeln oft begleitende Abwehrhaltung gegenüber Emotionalität darauf zurückzuführen, dass die vermeintlich konsensuale Auffassung von Emotion und Gefühl als ein negativ konnotiertes, der Bildung entgegenwirkendes Verständnis für ihre Ausblendung in der erziehungswissenschaftlichen Theoriebildung verantwortlich war und ist“. Matthias Huber, Sabine Krause, Bildung und Emotion, in: dies. (Hg.), Bildung und Emotion, Wiesbaden 2018, S. 1-13, hier S. 3. Vgl. dazu etwa auch Reinhard Pekrun, Schüleremotionen und ihre Förderung. Ein blinder Fleck der Unterrichtsforschung, in: Psychologie in Erziehung und Unterricht 45 (1998), S. 230-248.

[4] Wie Melanie M. Keller, Eva S. Becker, Erleben und Regulation positiver Emotionen bei Lehrpersonen, in: Tina Hascher, Gerda Hagenauer (Hg.), Emotionen und Emotionsregulation in Schule und Hochschule, Münster 2018, S. 165-180, hier S. 167, bemerken, sei auch ein Beweggrund für deren Nichtbeachtung, dass Emotionen als flüchtig und daher als kaum messbar gelten.

[5] Gute Ein- und Überblicke verschaffen Daniela Saxer, Mit Gefühl handeln. Ansätze der Emotionsgeschichte, in: Traverse. Zeitschrift für Geschichte 14 (2007), S. 15-29; Christian von Scheve, Emotionen und soziale Strukturen. Die affektiven Grundlagen sozialer Ordnung, Frankfurt/Main 2009; Martin Hartmann, Gefühle. Wie die Wissenschaften sie erklären, 2. Aufl. Frankfurt/Main 2010; Jan Plamper, Geschichte und Gefühl. Grundlagen der Emotionsgeschichte, München 2012; oder Jutta Stalfort, Die Erfindung der Gefühle. Eine Studie über den historischen Wandel menschlicher Emotionalität (1750-1850), Bielefeld 2013.

[6] Vgl. dazu den eindrücklichen Beitrag von Juliane Brauer, Martin Lücke, Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Einführende Überlegungen, in: dies. (Hg.), Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven, Göttingen 2013, S. 11-26, die vehement für die Berücksichtigung von Emotionen in der Didaktiktheorie eintreten. Vgl. auch Dorle Klika, Bildung und Emotion. Historisch-systematische Zugänge, in: Huber/Krause, Bildung und Emotion, S. 75-89, die nachzeichnet, wie der einst florierende pädagogische Emotionsdiskurs im 19. Jahrhundert zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend abebbte.

[7] Hierzu mit einem konzisen Überblick Tina Hascher u. Bernhard Schmitz, Emotionen und Schule und Hochschule. Perspektiven, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, S. 339-343. Vgl. zudem Huber/Krause, Bildung sowie Klika, Bildung.

[8] Vgl. hier etwa Judith Fränken, Marold Wosnitza, Stolz im Schulalltag. Worauf sind Schülerinnen und Schüler stolz?, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, S. 15-28; Catherine Gunzenhauser, Anne-Kathrin Stiller, Antje von Suchodoletz, Kognitive Neubewertung statt Unterdrückung von Emotionen. Emotionsregulation und Leistung bei Grundschulkindern, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, S. 29-42; Anette Lohbeck, Juliane Schlesier, Uta Wagener, Barbara Moschner, Emotionsregulationsstrategien, Emotionen und kognitive Lernstrategien von Studierenden, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, S. 57-72.

[9] Vgl. hier etwa Maria Tulis, Markus Dresel, Emotionales Erleben und dessen Bedeutung für das Lernen aus Fehlern, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, S. 73-86; Justine Stang, Detlef Urhahne, Genauigkeit der Einschätzung von Emotionen von Schülerinnen und Schülern durch Lehrpersonen, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, 151-164; Keller/Becker, Erleben und Regulation, S. 165-180.

[10] Vgl. hier Reinhard Pekrun, The controll-value theory of achievement emotions. Assumptions, corollaries and implications for educational research and practice, in: Educational Psychology Review 18 (2006), S. 315-341; Matthias Huber, Emotionen im Bildungsverlauf. Entstehung, Wirkung und Interpretation, Wiesbaden 2020, hier S. 2.

[11] So benennt etwa Reinhard Pekrun, Emotion, Lernen und Leistung, in: Huber/Krause (Hg.), Bildung und Emotion, S. 215-232 mit „Lernfreude, Hoffnung, Leistungsstolz, Prüfungsangst, Ärger, Scham, Langeweile und Hoffnungslosigkeit“ ebenso ein wildes Durcheinander von Affekten, Gefühlen und Emotionen wie Brauer/Lücke, Emotionen, mit „Liebe, Hass, Wut, Trauer, Vertrauen oder Zuneigung“.

[12] Saxer, Mit Gefühl, S. 16.

[13] Vgl. hier Julia Mendzheritskaya, Miriam Hansen, Sonja Scherer, Holger Horz, „Wann, wie und wem gegenüber darf ich meine Emotionen zeigen?“ Regeln der emotionalen Darbietung von Hochschullehrenden in der Interaktion mit Studierenden in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, S. 227-241; Robert Kordts-Freudinger, Katharina Thies, Regulate this! Emotionsregulation und Lehrorientierungen der Hochschullehrenden, in: Hascher/Hagenauer, Emotionen, S. 211-225; sowie Keller/Becker, Erleben und Regulation.

[14] Vgl. hierzu die dezidierte Kritik von Martin Lücke, Juliane Brauer (Brauer/Lücke, Emotionen, bes. S. 17): „Blickt man zum Beispiel in das aktuelle Wörterbuch Geschichtsdidaktik, fehlt nach wie vor die Anerkennung von Emotionen als geschichtsdidaktische Kategorie, geschweige denn Vorschläge für ein funktionales Einbinden von Emotionen in Lernprozesse“. Gemeint ist Ulrich Mayer (Hg.), Wörterbuch Geschichtsdidaktik, 3. Aufl. Schwalbach/Ts. 2014.

[15] So findet sich auch in der zweiten Auflage keine Erwähnung in dem voluminösen zentralen Band von Hans-Jürgen Pandel, Geschichtsdidaktik. Eine Theorie für die Praxis, 2. Auflage Schwalbach/Ts. 2017. Dieser Befund gilt z. B. auch für Ulrich Trautwein u.a., Kompetenzen historischen Denkens erfassen. Konzeption, Operationalisierung und Befunde des Projekts „Historical Thinking – Competencies in History“ (HiTCH), Göttingen 2019; oder Ulrich Baumgärtner, Wegweiser Geschichtsdidaktik. Historisches Lernen in der Schule, Paderborn 2019.

[16] Für andere Disziplinen liegen bereits einige Überlegungen zur Anwendung und Umsetzung vor. Vgl. dazu etwa zum Mathematikunterricht Raphaela Porsch, Emotionen in der LehrerInnenbildung, in: Huber/Krause (Hg.), Bildung und Emotion, S. 269-287; Tina Hascher, Claudia C. Brandenberger, Emotionen und Lernen im Unterricht, in: Huber/Krause (Hg.), Bildung und Emotion, S. 289-310; sowie zum Politikunterricht den Sammelband von Siegfried Frech, Dagmar Richter (Hg.), Emotionen im Politikunterricht, Frankfurt/Main 2019.

[17] Bis zu einem gewissen Punkt stellt hier der Sammelband von Brauer/Lücke, Emotionen, eine Ausnahme dar, auf die ich noch dezidiert zurückkommen werde.

[18] Auf diesen Kontext werde ich weiter unten zurückkommen.

[19] Thomas Etzemüller, Der ‚Vf‘ als Subjektform. Wie wird man zum ‚Wissenschaftler‘ und (wie) lässt sich das beobachten?, in: Thomas Alkemeyer, Gunilla Budde, Dagmar Freist (Hg.), Selbst-Bildungen. Soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, Bielefeld 2013, S. 175-196.

[20] Vgl. im folgenden Ralf Pröve, Geschichtskunde vs. Geschichtswissenschaft, Vielfalt statt Einfalt: Ein Appell für sozialkonstruktivistisches Forschen und selbstreflektiertes Lehren, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 68 (2020), S. 393-416.

[21] Vgl. dazu etwa Pierre Bourdieu, Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt/Main 1998; ders., Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt/Main 1993.

[22] Hilfreiche Erläuterungen bietet Ingrid Gilcher-Holtey, Kulturelle und symbolische Praktiken: das Unternehmen Pierre Bourdieu, in: Wolfgang Hardtwig (Hrsg.), Kulturgeschichte Heute, Göttingen 1996, S. 111–130.

[23] Vgl. Paul Watzlawick, Wirklichkeitsanpassung oder angepasste „Wirklichkeit“? Konstruktivismus und Psychotherapie, in: Heinz Gumin, Heinrich Meier (Hg.), Einführung in den Konstruktivismus, München 2010, S. 89-107.

[24] Einen ersten Überblick verschafft Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Hamburg 2006.

[25] Vgl. Stefan Haas, Theory Turn. Entstehungsbedingungen, Epistemologie und Logik der Cultural Turns in der Geschichtswissenschaft, in: Haas/Wischermann (Hrsg.), Die Wirklichkeit der Geschichte, S. 11–44, hier S. 11.

[26] Vgl. Thomas Fuchs, Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologische Konzeption, Stuttgart 2008; Marco Iacoboni, Woher wir wissen, was andere denken und fühlen. Die neue Wissenschaft der Spiegelneuronen, München 2009; oder Christian Keysers, Unser empathisches Gehirn. Warum wir verstehen, was andere fühlen, München 2013; Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone. Die biologische Basis des Mitgefühls, Frankfurt/Main 2008.

[27] Mit dem Begriff der „emotionology“ prägten Peter N. Stearns und Carol Z. Stearns die Unterscheidung von emotionalem Erleben und emotionalen Standards. Vgl. dies., Emotionology, Clarifying the History of Emotions and Emotional Standards, in: American Historical Review 90 (1985), S. 813-836.

[28] George Lakoff, Elisabeth Wehling, Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht, Heidelberg 2014; Elisabeth Wehling, Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, Köln 2016.

[29] Wolfgang Hasberg, Emotionalität historischen Lernens. Einblicke in und Ausblicke auf empirische Forschung, in: Brauer/Lücke (Hg.), Emotionen, S. 47-73. In ähnliche Richtungen argumentieren in diesem Band auch Martin Lücke (Fühlen, Wollen, Wissen. Geschichtskulturen als emotionale Gemeinschaften, S. 93-106), Juliane Brauer (Empathie und historische Alteritätserfahrungen, S. 75-92), Bärbel Völkel (Verstörende Imaginationen. Gedanken zum Zusammenhang von historischen Imaginationen und Emotionen, S. 139-163) oder Carlos Kölbl (Emotionspsychologie und Geschichtsbewusstseinsforschung, eine fruchtbare Kontaktperspektive? Begriffe, Relationierungen, Unterricht, S. 109-124).

[30] Mit anderen Worten: die eigene Historisierung vornehmen.

[31] Verwiesen sei hier auf das wichtige Bonmot von Clemens Wischermann: „Sich selbst beim Denken zuzusehen gehört leider noch nicht zu den vermittelten Kernkompetenzen eines Geschichtsstudiums.“ Clemens Wischermann, Die historische „Wirklichkeit“ zwischen Schicksalhaftigkeit und Eigensinn, in: Stefan Haas, Clemens Wischermann (Hg.), Die Wirklichkeit der Geschichte. Wissenschaftstheoretische, mediale und lebensweltliche Aspekte eines (post-)konstruktivistischen Wirklichkeitsbegriffes in den Kulturwissenschaften, Stuttgart 2015, S. 101–112, hier S. 112.

[32] Vgl. hier etwa Heinz Renn, Lebenslauf-Lebenszeit-Kohortenanalyse, in: Wolfgang Voges (Hg.), Methoden der Biographie- und Lebenslaufforschung, Opladen 1987, S. 261–298; Andreas Diekmann, Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen, Reinbek bei Hamburg 1995. Hinzu kommen unzählige Popularisierungen des Themas, vgl. dazu nur Florian Illies, Generation Golf. Eine Inspektion. 13. Aufl. S. Fischer, Frankfurt/Main 2011; Andreas Tögel, Schluss mit lustig. Wie die Babyboomer die Zukunft der Jugend ruinieren, Wien 2018; Bernhard von Becker, Babyboomer. Die Generation der Vielen, Berlin 2014; Martin Rupps, Wir Babyboomer. Die wahre Geschichte, Freiburg/Brsg. 2008; Francesco Giammarco, Millennials und die Generation Z: Stress mit den Kleinen, in: Zeit-Online vom 9. Oktober 2020 (https://www.zeit.de/2020/42/millennials-generation-z-generationskonflikt-fridays-for-future; letzter Zugriff am 11.10.2020); oder Sabine Bode, Kriegsenkel. Die Erben der vergessenen Generation. 10. Auflage Stuttgart 2013. Großes Interesse bringen diesem Phänomen naturgemäß auch MarktforscherInnen und Werbefirmen entgegen. Vgl. dazu Hans-Georg Pompe (Hg.), Boom-Branchen 50plus. Wie Unternehmen den Best-Ager-Markt für sich nutzen können, Wiesbaden 2012.