Lehre

Vom Abenteuer der akademischen Lehre

von Ralf Pröve

Wer kennt sie nicht, die immer wieder von Bildungspolitikern, vom Wissenschaftsrat oder anderen sich dazu berufen Fühlenden medienwirksam und in geradezu ritualisierter Form verkündete Forderung nach Verbesserung universitärer Lehrqualität? In hektischer Betriebsamkeit werden an den Universitäten öffentlichkeitswirksam Evaluationsprogramme gestartet, neue Controlling-Verwaltungsstellen geschaffen, Lehrpreise vergeben und Weiterbildungsangebote für Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen ins Leben gerufen. Die meisten dieser Initiativen, oft mit besten Absichten gestartet, manchmal auch mit recht naiven Vorstellungen unterlegt, laufen in der Regel ins Leere.

In der Tat ist die Lehrqualität an den deutschen Universitäten, um es diplomatisch auszudrücken, suboptimal. Immerhin wird die Problematik wenigstens seit einigen Jahren thematisiert, nachdem sie in den Jahrzehnten zuvor überhaupt keine Rolle gespielt hat.

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen für diese Misere. Sie liegen fast alle im Kern des maroden deutschen Hochschulsystems begründet. Das ist an dieser Stelle aber nicht mein Thema. Stattdessen möchte ich hier meine ganz persönliche Sicht auf den wissenschaftlichen Ertrag und die tiefe Freude an ambitionierter Lehre beleuchten. Ich habe im folgenden sechs Kriterien zusammengefasst:

 a) Selbstreflektion

Ausgangspunkt einer guten Lehre ist für mich eine notwendige Selbstreflektion. Hilfreich ist allemal eine ordentliche Portion Selbstironie. Nur wer sich seiner Selbst bewusst ist, seine Fähigkeiten und Kenntnisse einschätzen kann, aber auch seine Schwächen und Wissenslücken (man könnte auch sagen: seine eigene Historizität, sein „Sitz im Leben“), kann entspannt in den Seminarraum gehen. Ist dies nicht der Fall, kann das dazu führen, dass rasch Verwerfungen entstehen, Situationen, die in der Interaktion mit den Studierenden unweigerlich in eine Sackgasse führen können.

Klassische Vermeidungsstrategien überforderter oder desinteressierter Dozenten sind etwa die Zupflasterung der Sitzungen mit stundenlangen Referaten der Studierenden oder ebenso langen Monologen des Lehrenden. In beiden Fällen kann es dann zu gestörter Kommunikation kommen sowie zu Demotivation und Desinteresse auf beiden Seiten führen („du strengst dich nicht, dann strengen wir uns auch nicht an“).

 b) Studierende als Lehr- und Lern-Partner

Gerade wenn der Dozent in seinen fremdbestimmten Rollenzuweisungen (zu glauben, etwas darstellen zu müssen oder zu vermeinen, sich unangreifbar zu machen) gefangen ist, sich zum Beispiel deshalb überfordert fühlt, wird er die Studierenden als Gegner, als Störenfriede begreifen. Dann wird rasch jede Frage, jeder Vorschlag, jeder Einwand der Studierenden als massiver Delegitimationsversuch der eigenen Person empfunden.

Studierende sollten aber vielmehr als Partner angesehen werden, nur gemeinsam entsteht gute, entsteht akademische Lehre. Ich betone immer wieder, dass ich als Dozent nur ein Teil des Ganzen, der Lehrveranstaltung sein kann. Ich möchte selbst auch dazu lernen, es geht darum, bisher noch nicht gedachte Fragen zu stellen, zusammen originelle Ideen zu entwickeln, gemeinsam andere Perspektiven auszuprobieren. Eine gute Lehrveranstaltung ist für alle Seiten ein Gewinn – und liegt deshalb in der Verantwortung aller Beteiligten.

 c) Klare Zielstellungsformulierungen

Ich halte es für wichtig, zu Beginn des Semesters, aber letztlich auch jeweils zu Beginn jeder Sitzung meine Zielstellung, meine Erwartungen klar und deutlich zu formulieren. Damit meine ich längst nicht nur die bewertungsrelevanten Tätigkeiten zu skizzieren, die Abläufe der Sitzungen oder sonstige Vorgaben zu kommunizieren sowie die inhaltlichen Basisthemenkomplexe und Hauptfragen zu erläutern. Vielmehr geht es darum, Wissenschaft in seiner zeitlichen Bedingtheit und also als Konstrukt zu entlarven. Auf diese Weise wird Wissenschaft als ein fassbarer, mithin dann auch herrschaftsfreier Vorgang begreifbar; die Studierenden werden ermutigt, sich eine eigene Meinung zu bilden und vorgefertigte Lehrsätze und selbst dominant auftretende Erklärungsmuster nicht einfach zu akzeptieren; das Fernziel sind somit selbstbewusste, kritische Absolventen und Konsumenten; ­ ein Ziel, das vielleicht für Behörden unangenehm sein kann, für eine offene Bürger-Gesellschaft aber elementar ist.

 d) Stetige Evaluation

Um sich selbst immer wieder zu überprüfen, baue ich regelmäßig kleinere Evaluationsrunden ein. Das hat den Vorteil, dass ich flexibel reagieren und den einen oder andere kritisierten Umstand abstellen kann. Das ist weitaus sinnvoller, als erst am Ende der Lehrveranstaltung vorgefertigte Evaluationsbögen zu verteilen. Dieser Wahn, am Ende des Sitzungsreigens eine Art Planerfüllung administrativ zu erwirken, ist nicht nur methodisch fragwürdig. Erstens sind die Fragen problematisch, vieles wird ausgeblendet, nur das verwaltungstechnisch scheinbar Verwertbare erfasst. Zweitens erfolgt die Evaluation erst wenn es zu spät ist, wenn sich also alle unzufriedenen Studierenden im Vorfeld bereits von der Lehrveranstaltung in den ersten Wochen verabschiedet haben. Drittens profitiert das gerade abgelaufene Seminar eben nicht mehr von der Evaluation. Viertens bleiben die Ergebnisse letztlich ohne jede tatsächliche Konsequenz.

Ich halte es im Übrigen auch für sehr nützlich, sich auf Dozentenebene auszutauschen und sich gegenseitig in den Lehrveranstaltungen zu besuchen. Aber die Bereitschaft dazu setzt natürlich eine bestimmte selbstreflektierte Grundhaltung voraus.

 e) Offene Diskussionskultur, angstfreier Raum, Überwindung von Distanz

Ich erachte eine offene Diskussionskultur, in der jeder Studierende jede Art von Frage stellen kann, stellen muss, für essentiell. Es gilt, sich zu Wissenslücken zu bekennen und gemeinsam zu überlegen, was wirklich wesentlich ist, und wie und wo man sich informieren kann. Meine Aufgabe ist auch die eines Moderators, eines Vermittlers. In immer wieder einzustreuenden zeitlich wenig aufwändigen Gruppenarbeiten wird nicht nur inhaltlich, sondern auch teamorientiert gearbeitet, so dass die Studierenden unterschiedliche Werthaltungen und Rezeptionstechniken kennen lernen.

 f) Flexible Leistungsanforderungen

Ich halte alle Formen von Auswendiglernen, von Wissensbulimie für groben Unfug. Auch überlange, zum Teil einstündige Referate bringen gar nichts. Zu hinterfragen ist auch der Sinn umfangreicher Hausarbeiten. Stattdessen sollten Leistungen erbracht werden, die sinnvoll sind, und die auch für das spätere Berufsleben außerhalb der Universität wichtig sind: Sachverhalte rasch erfassen, eine Diskussion zusammenführen und auf den Punkt bringen, Kontexte herstellen, Medienkompetenz entwickeln, einen Text analysieren, eine Quelle lesen und einordnen, sich im Gespräch präsentieren.

Je nach Thema der Lehrveranstaltung und Teilnehmerzahl nutze ich verschiedene Leistungsanforderungen: Ergebnisprotokoll, Aufsatzpatenschaft, selbst erstellte Klausuren, Prüfungsgespräch, concept map, schriftliche Reflektionen, Arbeit in Expertenteams, Sitzungsmoderationen usw.