Auf die Frage, mit was man sich denn beschäftige (sprich: welche Schublade zu öffnen sei), finde ich die übliche Einteilung in Epochen und thematische Zuspitzungen wie „Weimarer Republik“, „Spätmittelalter“ oder „Militärgeschichte“ eigentlich uninteressant. Viel wichtiger ist doch, welchen geschichtsphilosophischen Grundvorstellungen von Geschichte jemand bewusst oder auch unbewusst anhängt, was jemand für die geschichtstreibenden Kräfte hält. Und damit, welche Vorentscheidungen hinsichtlich Themenfindung, Fragestellung, Quellensuche und Methodik man unwillkürlich getroffen hat. Zudem gilt es daran zu denken, welche Entwicklung, welchen Zugewinn von Wissen, man selbst im Laufe seines Lebens erfahren hat.
In meinem bisherigen Leben lassen sich die folgenden drei Erkenntnisetappen festmachen:
Als Teenager, als Schüler war ich vollkommen auf historische Personen und Ereignisse fixiert. Ich las mit Begeisterung die alten Mediävisten, fand neben Mittelalter auch Antike mordsmäßig spannend. Alles so klar, alles so schnell erlernbar, vermeintlich verstehbar. Ich verschlang das Taschenbuch der Weltgeschichte, beging Wissensbulimie, weil ich dachte, das ist es, starke Personen der Geschichte (Luther, Ludwig XIV., Friedrich II., Bismarck etc.) sind die Kräfte schlechthin; deren Erfolg direkt über gewonnene Schlachten und am Diplomaten-Tisch errungene Gebietsvergrößerungen erkennbar sei. Ich memorierte Zahlen, Daten und Fakten.
Als Student löste ich mich allmählich von diesen Vorstellungen. Ich begann, mich mit Strukturen zu beschäftigen, mit komplexen Wirkmechanismen hinter den Kulissen. Personen und Ereignisse verblassten. Meine Promotion ist in der Hauptsache im Geist des Strukturfunktionalismus entstanden, ablesbar auch an weit über hundert Tabellen und hochaggregierten Zahlenwerken.
Erst in den letzten zehn Jahren entdeckte ich im Zuge meiner ganz eigenen kulturwissenschaftlichen Wende ethnologische, soziologische und kulturanthropologische Herangehensweisen. Ganz im Zeichen des praxeologischen Ansatzes stehen für mich nunmehr die Akteure im Vordergrund. Ich untersuche die Beziehungen und Netzwerke zwischen den Akteuren und deren Eingebundenheit in ganz vielfältige Strukturen. Zugleich finde ich es sehr herausfordernd zu schauen, wie sehr Geschichte erzählt wird, wie aufschlussreich historiographische Entwicklungen sind. Insbesondere der Konstruktivismus eröffnet mit seinen verschiedenen Ansätzen faszinierende Perspektiven, und zwar in doppelter Hinsicht: Erstens ermöglichen diese mir als Forscher, als Historiker, selbstreflektierend vorzugehen und mich von vielen Erkenntnis-Fehlern und methodischen Fehlleistungen zu bewahren. Zweitens kann ich die Akteure in ihrem Sprachhandeln komplexer fassen und präziser die Funktionen und Intentionen von deren schriftlichen Hinterlassenschaften aufdecken.